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Erfolgreiche Methoden für hierarchiefreie Führung

Beispiele aus der Praxis

02. September 2021

Arbeiten (fast) ganz ohne Chef oder Chefin? Geht das? Immer mehr Unternehmen versuchen, klassische Führungsstrukturen und Hierarchien aufzulösen. Stattdessen werden große Entscheidungen auf Teams übertragen, kleine Entscheidungen gleich ganz den einzelnen Mitarbeiter*innen überlassen. Wichtige strategische Fragen werden komplett transparent behandelt. Diese hierarchiefreien Methoden fördern nachweislich die Mitarbeitermotivation, sollten aber in ein festes Regelkonzept eingebettet werden. Wie solche Strukturen aufgebaut werden können und im Arbeitsalltag umgesetzt werden können, zeigen drei erfolgreiche Beispiele aus der Praxis.*

Beispiel 1: Selbstbestimmtes Arbeiten bei Summer&Co

Seit seiner Gründung 2014 verzichtet das Strategieberatungsunternehmen Summer&Co. auf klassische Hierarchien. "Vertrauen und Kompetenz vor Status" lautet das Motto der alltäglichen Arbeit, die überwiegend durch die Mitarbeitenden selbst organisiert wird. Transparente und demokratische Entscheidungsprozesse, sowie eine regelmäßige und offene Kommunikation den Austausch zwischen den Teams. Über dieses permanente Feedback können Prozesse reflektiert und gesteuert werden. Die folgenden neun Instrumente helfen bei der Organisation des selbstbestimmten Arbeitsmodell: 

1. Abschaffung von Abteilungen und klassischen Führungskräften

Alle sind gleichberechtigt: Die Mitarbeiter*innen sollen sich nach ihren Fähigkeiten und Vorstellungen einbringen und mitbestimmen können. Auf eine klassische hierarchische Arbeitsstruktur wird verzichtet.

2. Organisation in Rollen und Kreisen

Die Arbeit wird in sog. Rollen und Kreisen (mehrere thematisch verknüpfte Rollen) organisiert. Jede Rolle, jeder Kreis hat einen definierten Zweck, feste Aufgaben und Verantwortungsbereiche. Es gibt z. B. einen Kreis für Marketing, Personal, Finanzen und Vertrieb. Eine Person kann in mehreren Rollen und Kreisen tätig sein.

3. Wahl der Kreis-Leads aus dem Team heraus

Die koordinierende Führungsrolle eines Kreises, der sog. Kreis-Lead, wird einmal jährlich vom gesamten Team gewählt. Dabei gilt die Devise: Kompetenz kommt vor Status. Jede*r kann Kreis-Lead werden. Es zählt allein die Frage: Wem trauen die Kolleg*innen zu, die Rolle gut auszufüllen?

4. Unternehmensentscheidungen im „Summer-Kreis“

Im „Summer-Kreis“ befinden sich alle Beschäftigten. Hier wird nicht nur zum Ende jeder Woche auf die anstehende Arbeit und zu besprechende Themen geblickt, sondern es werden auch grundlegende Entscheidungen getroffen, z. B.: Wen stellen wir ein? Wie positionieren wir uns als Unternehmen?

5. Konsent statt Konsens

Viele Entscheidungen werden im Konsent getroffen. Dabei bringt ein*e Mitarbeiter*in einen Vorschlag ein, der so lange gilt, bis jemand einen schwerwiegenden Einwand vorbringt. Ziel ist nicht, eine Entscheidung zu blockieren, sondern sie zu verbessern. Einwände gelten als hilfreich und werden in den Vorschlag eingearbeitet.

6. Mentoring

Alle Mitarbeiter*innen haben eine*n Mentor*in. Diese*r steht jederzeit für aufkommende Fragen, z. B. bei Fragen der Selbstorganisation, unterstützend zur Verfügung. Dieser Prozess findet unabhängig vom Tagesgeschäft statt.

7. „Workation“

Diese Mischung aus Arbeit und Teamevent stärkt das Zusammenwachsen der Belegschaft. Beim jährlichen Sommercamp, bei dem z. B. die Kinder der Mitarbeiter*innen dabei sind, erleben sich die Beteiligten nicht mehr nur als Kolleg*innen, sondern auch als Elternteil oder Vorbild.

8. Regelmäßige Feedbackrunde

In regelmäßigen Abständen geben sich die Mitarbeiter*innen eine Rückmeldung über ihre Arbeit. Das fördert Vertrauen und Transparenz. Mögliche Fragestellungen können hierbei sein: Was gefällt mir an dir und deiner Arbeit? Was wünsche ich mir von dir?

9. Agile Arbeitsmethoden

Die Beschäftigten arbeiten agil: autonome Teams (Kreise) managen sich selbst und vereinen dafür alle nötigen Disziplinen (Rollen). Das verlangt ein hohes Maß an Reflexionsfähigkeit und Selbstorganisation, um Arbeitsprozesse kritisch zu hinterfragen und eigenverantwortlich zu steuern.

 

Beispiel 2: hhpberlin - Führungskultur, die auf Freiraum baut

„So viel Struktur wie nötig, so viel Freiraum wie möglich“ lautet das Motto beim Dienstleister für Brandschutzlösungen hhpberlin. Dazu hat hat Ingenieurbüro vor rund zehn Jahren ein selbst entwickeltes mitarbeiter- und themenorientiertes Organisationsmodell entworfen, das alle starren Hierarchien abgelöst hat. Das sogenannte LOAZ-Modell steht für: (L)eute begeistern können, (o)rganisieren können, (A)lternativen aufzeigen können und (z)uhören können. 

LOAZ bedeutet agiles Teamwork und themenorientierte Führung. Den Mitarbeiter*innen wird ein hohes Maß an Eigenverantwortung gewährt und über die Alltagsarbeit hinaus auch die Chance, das Unternehmen direkt mitzugestalten. Auch damit ist hhpberlin besonders attraktiv für Fachkräfte geworden, die zudem eine hohe Loyalität auszeichnet. Das LOAZ-Modell bei hhpberlin basiert auf folgenden Elementen:

1. Themenbezogene Führung

Mitarbeiter*innen können mit ihren Fähigkeiten bei einem bestimmten Thema führend sein und sich gleichzeitig in einem anderen Themenfeld führen lassen. Schließlich sind Kompetenzen unterschiedlich ausgeprägt.

2. Vorreiterrollen

Findet ein*e Mitarbeiter*in ein neues Thema relevant für das Unternehmen, übernimmt diese Person die Führungsrolle bei diesem Thema und ist für die Umsetzung verantwortlich. Unterstützt wird die Führungsperson dabei von Kolleg*innen, die das Thema ebenfalls wichtig finden.

3. Gemischte Projektteams

Vielfalt ist ein Muss: Die Teams werden gemischt hinsichtlich Geschlecht, Altersstruktur, Erfahrungsstufen und LOAZ-Eigenschaften für eine Zusammenarbeit aufgestellt. Jedes Projektteam besteht aus fünf bis acht Mitarbeiter*innen.

4. Flexibel bei Arbeitszeit und Arbeitsort

Technische Lösungen wie cloudbasiertes Arbeiten mit mobilen Endgeräten ermöglichen zeit- und standortunabhängige Zusammenarbeit. Technik-Trainer*innen schulen zu IT-Themen und helfen dabei, neue Technologien einzuführen.

5. Weiterentwicklung mit der Chefetage

Alle sechs Wochen treffen sich die gewählten Vertreter*innen aller Teams mit der Geschäftsführung in der „Prozess-Steuerungs-Gruppe“. Hier werden Themen diskutiert, die die Entwicklung der Unternehmenskultur betreffen. Die Gruppe dient als Feedbackrunde und Ideenwerkstatt und priorisiert die nächsten Schritte.

 

Beispiel 3: Hierarchiefreie Führungskultur bei Seibert Media

Auch im Softwareunternehmen Seibert Media wird schon seit einigen Jahren hierarchiefrei gearbeitet. Nach einer Pilotphase, bei dem der agile Ansatz an einem kleineren Projekt erfolgreich erprobt wurde, strukturierte man das gesamte Unternehmen umfassend um. Die rund 140 Arbeitnehmer*innen arbeiten vollständig ohne formelle Hierarchien in interdiszipliniert aufgebauten Teams zusammen, die ihre Aufgaben selbstorganisiert bearbeiten können. Dabei beruhen Entscheidungen in erster Linie auf der Expertise der fachlich spezialisierten Teammitglieder, die je nach Auftrag auch die Führung für die Projektzeit übernehmen können  Neben der Produktentwicklung werden die Mitarbeiter*innen auch bei Seibert Media an der Gestaltung der Unternehmensausrichtung wie etwa bei der Strategieplanung beteiligt.

Seibert Media setzt auf die folgenden Tools, um die Entscheidungsfindungsprozesse zu beschleunigen und um Kreativität und Engagement der Mitarbeitenden zu fördern und zu nutzen.

1. „Wer darf was?“-Board

Als Lösung dafür hat die Firma ein digitales schwarzes Brett, das sogenannte „Wer darf was?“-Board, eingeführt. Es regelt Verantwortlichkeiten und zeigt, wer in einem Projekt berät und wer entscheidet.

2. Konsent-Entscheidungen

Strategische Entscheidungen werden im Konsent getroffen. Das bedeutet, sofern keine schwerwiegenden Einwände vorliegen, einigt man sich auf diese Entscheidung. Bei speziellen Fragestellungen wird auch auf das systemische Konsensieren zurückgegriffen. Dabei entscheidet sich die Gruppe für die Option mit der geringsten Ablehnung.

3. Konsultativer Gruppenentscheid

Darüber hinaus nutzt das Unternehmen den konsultativen Gruppenentscheid: Es entscheiden nicht mehr alle, sondern nur noch ein ausgewählter Kreis von maximal fünf Personen. Dieser wird im Vorfeld der Abstimmung von allen Anwesenden demokratisch gewählt.

4. Offener Gehaltfindungsprozess

Beim Gehalt bestimmt ein sogenannter „Gehaltscheckerkreis“ die Vergütung. Die Vertreter*innen im Kreis werden dabei von ihren Kolleg*innen gewählt. Gemeinsam trifft der Kreis in themenspezifischen Gruppen, die für unterschiedliche Positionen und Funktionen zuständig sind, eine faire Entscheidung über die Vergütung eines Jahres.

5. Internes Unternehmenswiki

Die Mitarbeiter*innen nutzen ein internes Wiki sowie einen darin integrierten Mikroblog zum Teilen und Diskutieren von Ideen, um das Unternehmen weiter zu optimieren. So können die Beschäftigten das Unternehmen aktiv mitgestalten. Die entstandenen Ideen werden in einem wöchentlichen Meeting eingebracht.

6. Experimentieren mit Hackathons

Zweimal jährlich experimentieren die Mitarbeiter*innen des Softwareunternehmens in Hackathons. Ziel ist es, in kleinen Teams nützliche und kreative Softwareprototypen zu entwickeln. Die Themen bestimmen die Teilnehmer*innen.

(*Quelle: INQA - Initiative Neue Qualität der Arbeit)

 

 


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