Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Und warum eigentlich? Diesen Fragen geht Richard David Precht* in seinem aktuellen Buch nach. Im Interview mit dem NWX Magazin erklärt der Philosoph, wie die fundamentale Veränderung der Arbeitswelt unser Leben, unsere Kultur und letztlich die ganze Gesellschaft verändert. Am 20. Juni ist Richard David Precht zu Gast auf der NWX22.
NWX Magazin: Herr Precht, Ihr neues Buch "Freiheit für alle" behandelt die Zukunft der Arbeit: Warum ist gerade dieses Thema in diesen Zeiten eine Frage für Philosophen?
Richard David Precht: Man denkt ja als Erstes immer: Die Frage nach der Zukunft der Arbeit ist eine Frage für Ökonomen. Sie können ausrechnen, wo neue Berufe entstehen, wo alte wegfallen, wie hoch oder niedrig die Arbeitslosigkeit sein wird oder wie groß der Fachkräftemangel ausfallen wird. Aber was sich ja tatsächlich ereignet, ist ein Paradigmenwechsel. Wir sind mittendrin in dieser starken Verschiebung, mit der die Arbeit in vielen Bereichen an Bedeutung verliert: Wir haben noch ganz viele andere Werte und Ziele im Leben, die wir auch alle erreichen wollen – und nicht nur eine gute Arbeit haben. Und zweitens verändert sich der Anspruch an die Arbeit. Man sieht das ja gerade ganz stark: Die Arbeit soll einen Purpose haben, sie soll Spaß machen, aber dann will man auch noch genug Zeit haben für Kinder, Work-Life-Balance, Partner oder Partnerin, Freunde, Reisen, Sport und so weiter. Das hat natürlich erhebliche Auswirkungen für eine Arbeitsgesellschaft.
Sinn, Selbstverwirklichung und Purpose: Entsteht da nicht auf viele Menschen ein Druck, die das in ihrer Arbeit (noch) nicht finden?
Precht: In einer Sinngesellschaft keinen Sinn zu finden, ist wahrscheinlich noch schlimmer als in einer klassischen Erwerbsarbeitsgesellschaft keine Arbeit. Der Befreiungscharakter ist aber größer als der Druck. Es ist ein alter Menschheitstraum und eine alte Sehnsucht, etwas zu arbeiten, was man auch arbeiten will. Die Frage ist aber: Was machen wir mit all den Leuten, die den stetig steigenden Berufsanforderungen nicht gerecht werden können. Da müssen wir beim Bildungssystem ansetzen. Viel zu viele Menschen verlassen die Schule ohne Neugier, Begeisterungsfähigkeit und die Lust, sich kreativ auszuleben. In der zukünftigen Arbeitswelt brauchen wir aber ganz viele von diesen Menschen und nicht mehr so viele von den Menschen, wie sie bisher die Schule verlassen. Und deswegen sage ich: Wir brauchen eine Bildungsreform, weil eine Wirtschaftsreform immer eine Bildungsreform voraussetzt.
Was muss denn anders werden?
Precht: Das Wichtigste ist, dass die intrinsische Motivation nicht zerstört wird. Menschen sind von Natur aus motiviert, zu lernen. In der Schule lernen Kinder, für Belohnung oder Zensuren zu lernen. Das ist ganz schlecht, wenn man später in eine Gesellschaft kommt, wo die vorgefertigte Arbeit, also die vielen Routineberufe, nicht mehr zur Verfügung stehen, sondern man sich seine Arbeit selbst suchen oder sogar schaffen muss. Dass man Neugier hat, Begeisterungsfähigkeit und Lernwillen zum lebenslangen Lernen, ist dafür essentiell.
Viele Jobs werden also wegfallen: Warum erzeugt das Ende der Arbeit, wie wir sie kannten denn dann Freiheit für alle?
Precht: Der Sozialstaat, wie wir ihn heute kennen, ist ja nicht vom Himmel gefallen: Die sozialen Absicherungen sind die Folge der ersten und viel stärker der zweiten Revolution. Heute haben wir ein soziales Absicherungssystem, das mit der digitalen Revolution nicht mehr zusammenpasst. Wir können eine Sinngesellschaft nicht in erster Linie auf die Besteuerung von Arbeit gründen. Wir müssen Arbeit und Existenzsicherung stärker entflechten. Und da kommt die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ins Spiel: Jeder erhält eine gewisse Grundsicherung unabhängig von seiner Arbeitsleistung. Das sorgt für Freiheit – und ist die Richtung, in die wir in den nächsten zehn Jahren denken müssen.
Über diese Aspekte und die Zukunft der Arbeit sprechen Sie auch auf der NWX22 am 20. Juni. Zuletzt haben Sie auf der Konferenz im Jahr 2018 eine Keynote gehalten. Was hat sich verändert?
Precht: Was in der Zeit natürlich sehr prägend war, waren die Corona-Erfahrungen, die wir alle gemacht haben. Corona hat bestimmte Prozesse der Digitalisierung beschleunigt. Dinge, von denen wir damals gesagt haben ‚Kann, aber muss nicht‘, wie zum Beispiel das Home Office, haben einen viel höheren Stellenwert bekommen. Einige haben damit gute Erfahrungen gemacht, andere nicht so gute: Auf jeden Fall ist es jetzt Teil unserer ganz normalen Alltagskultur geworden. Und es ist erstaunlich, wie viele Firmen erst jetzt gemerkt haben, dass das geht.
Was hat Corona mit der Einstellung der Menschen zum Arbeitsleben gemacht?
Precht: Sehr unterschiedliches. Es ist klarer geworden, was man an seiner Arbeit vermisst, wenn man nicht zum Arbeitsplatz geht. Das sind in allererster Linie die Kollegen. Da wurde sichtbar, was für ein feines Gespinst von sozialem Raum eigentlich Arbeiten ist. Viele Leute konnten eine Zeitlang ihre Freunde nicht treffen, waren isoliert. Da blieb nur die (virtuelle) Beziehung mit Kollegen.
Viele wollen ja auch wieder zurück an den Arbeitsplatz, aber nicht jeden Tag. Die Menschen wollen sich die neue Freiheit nicht mehr nehmen lassen.
Precht: Wir haben uns viele Möglichkeiten erkämpft. Aber digitales Gerät kann uns nicht überall die Live-Atmosphäre ersetzen. Das gilt auch für große Konferenzen. Ich habe während Corona viele Vorträge einfach in meinen Laptop gesprochen. Ich glaube, es war für alle Beteiligten wirklich nicht das Gleiche, als wenn man persönlich zusammensitzt, auf einer Bühne steht, danach noch ins Gespräch kommt. Also: Wir haben sowohl erkannt, welche Möglichkeiten wir haben. Aber wir haben auch erkannt, wo wir diese Möglichkeiten nicht so sinnvoll einsetzen können.
Wenn wir wieder ins Büro gehen – was müssen Unternehmen leisten, um ein gutes Arbeitsumfeld zu bieten?
Precht: Eine gewisse Flexibilität an Zeitgestaltung und zureichende Anerkennung sind wohl zwei der wichtigsten Komponenten. In Umfragen wird regelmäßig erhoben: ‚Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Arbeit?‘ In letzten zehn Jahren haben sich die Werte kaum verändert. Ein Viertel ist eher zufrieden, ein Viertel völlig unzufrieden und die Hälfte findet ihre Arbeit so la-la. Für ein Wohlstandsland wie Deutschland ist das nicht so richtig gut, da ist eindeutig noch Luft nach oben. Die Gründe sind interessant: Am häufigsten wird nicht zu wenig Geld genannt, sondern zu geringe Wertschätzung. Und das ist der Schlüssel. Man will Dinge tun, die einem gut tun und einen weiterbringen, die einem was bedeuten, auf die man stolz sein kann und für die man wertgeschätzt wird.
Was muss Führung in digitalen Zeiten noch leisten außer dieser Anerkennung?
Precht: Ein Wert, der heute wichtiger ist als er jemals war, ist der der Authentizität. Gerade bei jüngeren Menschen. Ich folge nur demjenigen, der glaubwürdig ist. Und durch die zunehmende Transparenz ist das auch überprüfbarer geworden: Ich kenne das Leben des Menschen, was er privat macht, wo seine Werte liegen. Da gibt es heute einen großen moralischen Anspruch. Führungskräfte sind transparenter und müssen in dieser Transparenz glaubwürdig sein.
Mit Richard David Precht sprach Ralf Klassen
*Richard David Precht ist Philosoph, Publizist und Autor. Seinem ersten Bestseller „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ folgten viele weitere – aktuell das Buch „Freiheit für alle. Das Ende der Arbeit, wie wir sie kannten“. Er arbeitet als Honorarprofessor für Philosophie an der Leuphana Universität Lüneburg sowie als Honorarprofessor für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Im ZDF moderiert er die Talkshow "Precht". Im Podcast "Lanz & Precht" erörtert er mit Talkmaster Markus Lanz gesellschaftlich und politisch relevante Themen unserer Zeit. Am 20. Juni spricht er in seiner Eröffnungs-Keynote der New Work-Konferenz NWX22 über die Zukunft der Arbeit.
Sichere Dir jetzt Dein Ticket für die NWX22 am 20. Juni in Hamburg