Endorsement

Zu oft gewischt? Über die "Curling-Kids" der Babyboomer

Ein Beitrag zur Generationendebatte

26. April 2024

Zu verwöhnt, zu wehleidig, zu wenig ambitioniert: Das sind die Schubladen, in denen die jüngeren Generationen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern immer häufiger gesteckt werden. Meist von älteren Herrschaften, die auch sonst mit schnellen Urteilen bei der Hand sind. Doch was ist wirklich dran am Gerede über die so schwierige Gen Z? Swen Thissen* hat als Führungskraft eine ganz eigene Meinung dazu - und in seinem hier folgenden Beitrag vielleicht auch die wahren Schuldigen gefunden.

"Die wenigsten Spitznamen für die Generationen Y (zu der ich selbst gehöre) und Z klingen sympathisch, in vielen schwingen Vorwürfe mit. Das gilt auch für den Begriff der "Generation Curling", der aus Schweden stammt und sich eher auf die Millennials bezieht, mittlerweile aber auch auf Teile der Gen Z angewandt wird.

Der Begriff meint nicht gelockte Haare, sondern die Sportart Curling, die dem Eisstockschießen nicht ganz unähnlich ist. Sie funktioniert im Kern so, dass Teamkolleg:innen mit aller Macht das Eis sauberpolieren, um zu gewährleisten, dass eine andere Person möglichst ungehindert und reibungslos den Curlingstein übers Eis in Richtung Ziel schieben kann.

Das perfekte Glätten des Wegs ist die Analogie, auf die sich der Begriff bezieht. Und umschreibt damit die Eltern, die unentwegt damit beschäftigt sind, dem Nachwuchs das Leben so einfach wie möglich zu machen, damit die Kinder ihre Ziele erreichen. Im "Guardian" formuliert es der schwedische Psychiater David Eberhard so: "Wir polstern ihre Welt auf jede erdenkliche Weise aus, wir verwöhnen sie von Anfang an."

Seit ich den Begriff zum ersten Mal gelesen habe, denke ich regelmäßig über ihn nach. Ich weiß, dass Generalisierungen nie alle Menschen umschreiben, und natürlich ist nicht jeder Mensch aus den Generationen Y und Z ein Teil der "Generation Curling". Aber ich kann nicht leugnen, dass ich das Bild treffend finde. Und ich mag, dass der Begriff nicht den jungen Menschen den Schwarzen Peter in die Schuhe schiebt, sondern provokant eine Frage suggeriert: "Und was, wenn manche Boomer:innen ihre Kinder einfach falsch erzogen haben?"

Es ist nicht von der Hand zu weisen: Die Eltern vieler Millennials haben ihrem Nachwuchs sehr, sehr viele Hindernisse aus dem Weg geräumt. Jede:r von uns kennt Kinder, denen schon immer die Sonne aus dem Allerwertesten schien, weil Mami und Papi die Kids zu sehr gepampert haben. Heraus kommen manchmal Menschen, die nicht mit Kritik umgehen können, keine Rückschläge verkraften, selbst keine Probleme lösen, einfach zu verwöhnt sind.

"Im Arbeitsleben ist da nicht immer jemand, der das Eis poliert. Und wenn der Chef das nicht macht, gilt er automatisch als schlechter Chef", schreibt die "Süddeutsche Zeitung" in einer Analyse zu den Konflikten von alten und jungen Menschen im Arbeitsalltag.

Der Text ist überschrieben mit folgendem Vorspann: "Die Boomer mussten sich alles in ihrer Karriere erkämpfen. Die Generation Z bekommt die Viertagewoche, Sabbatical und Home-Office hinterher geschmissen. Kein Wunder, dass das manche unfair finden – und gestritten wird."

Das finde ich persönlich viel zu scharf formuliert (und wird im Text natürlich ausdifferenziert). Zum einen, weil die Welt, in der die Gen Z lebt, in Teilen echt schwierig ist. Und zum anderen, weil die Babyboomer in einem System groß geworden sind, das ewiges Wachstum versprach. Heute wissen wir: Die Babyboomer:innen müssen sich keine Sorgen um ihre Rente machen. Die jungen Menschen schon.

Für mich als Führungskraft stellt sich die Frage: Was kann ich aus diesem Bild ableiten? Ich arbeite seit vielen Jahren jeden Tag mit sehr vielen sehr tollen Kolleg:innen zusammen, die ich nie und nimmer als "Generation Curling" bezeichnen würde. Und doch gibt's auch wenige Gegenbeispiele: Jene Menschen, die beim kleinsten Problem überfordert sind; die mit Arbeitsweisen nicht klarkommen, die für 95 Prozent des Teams in Ordnung sind; die bei jedem Hindernis mich als Chef anschauen und fragen: "Und was soll ich jetzt tun?"

Ich gebe es offen zu. Es sind die Fälle, an denen ich mir nicht erst einmal die Zähne ausgebissen habe. Wir reden hier nicht von der Gen-Z-Debatte, die ich, wie man hier lesen kann, für Quatsch halte, bezogen auf Themen wie beispielsweise die Work-Life-Balance. Und ich bin ja selbst eine Führungskraft, die ganz bewusst kommunikativ, kooperierend und individuell führt und nicht wie vor 30 Jahren mit Autorität und Druck arbeitet.

Sehr viele meiner Kolleg:innen honorieren das. Doch was mache ich mit jenen, die mit den Anforderungen meiner Teams dennoch nicht zurechtkommen?

Ich sehe in diesem Fall drei Möglichkeiten:

  • Ich fordere Betroffene auf, das Problem selbst zu lösen. Schließlich können das andere auch.
  • Ich bitte andere Kolleg:innen, die Person zu unterstützen.
  • Ich übernehme die Lösung der Probleme selbst und spiele Mutter oder Vater.

Alle drei Wege sind schwierig. Im ersten Fall wird die Person entweder die Leistung nicht bringen oder frustriert kündigen. Im zweiten haben andere Mehrarbeit. Im dritten habe ich selbst noch mehr zu tun und investiere meine Kraft ausgerechnet andauernd in die Problemfälle statt in meine Leistungsträger:innen, die ich ja eigentlich fördern möchte, damit meine Redaktion optimal vorankommt.

Mein letzter Versuch ist in solchen Situationen meist, nochmal ein brutal offenes Gespräch zu führen. Um von meinem Gegenüber zu erfahren, wo wirklich der Schuh drückt. Und zu erfragen, was ich vielleicht noch tun kann, damit die Person sich so entwickelt, um in Zukunft nicht immer meine Unterstützung zu brauchen.

Bringt auch das nichts, trennen sich die Wege leider irgendwann. Weil das Teammitglied mich für einen schlechten Chef hält und sich einen anderen Job sucht. Oder weil die Leistung nicht gut genug war, damit ich einen Vertrag auch verlängere oder entfriste.

Sollte mir niemand eine bessere Idee vorschlagen, was ich in solchen Fällen anders machen kann, muss ich wohl auch in Zukunft akzeptieren, dass es eben Kolleg:innen gibt, die ich nicht erfolgreich führen konnte. In solchen Momenten denke ich dann an all jene, bei denen es so viel besser klappt. Und gedanklich schiebe ich die Schuld vielleicht einfach den Curling-Eltern in die Schuhe. Das macht's ein bisschen einfacher, den eigenen Misserfolg zu verarbeiten."

*Über den Autor: Swen Thissen ist Chefredakteur des Onlineportals watson, das "Journalismus für junge Menschen" bietet. In seiner regelmäßigen, sehr lesenswerten Kolumne "Der Chef ganz ehrlich" beschreibt Thissen seine Erlebnisse und Herausforderungen als Führungskraft mit seinem größtenteils jüngerem Team. Und das auf eine ebenso unterhaltsame wie informative Art, ohne die mittlerweile üblichen Worthülsen und Vorurteile, die in der Diskussion zwischen den Altersgruppen so lästig geworden sind. Wir haben den Text  seines Originalbeitrags mit freundlicher Genehmigung übernommen.


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