Erstens war unsere Arbeitsumgebung drastisch komplexer und schneller geworden. Unsere zuvor hierarchischere Führungsstruktur war dafür nicht mehr gewappnet. Wir suchten nach einem Weg, jedem in der Organisation deutlich mehr Entscheidungsmacht zu geben.
Zweitens waren wir fasziniert von anderen Beispielen, allen voran den Organisationen aus Frédéric Laloux’ Buch “Reinventing Organizations”. Viele davon waren Ashoka Fellows, also von uns selbst bereits ausgezeichnete Sozialunternehmer.
Drittens ist es Ziel von Ashoka, jeden zum Veränderer von Gesellschaft zu machen. Wir stehen nach außen für Empowerment, Beteiligung und Selbstorganisation. Wir waren leidenschaftlich entschlossen, diese Mission noch viel stärker in unserer eigenen Teamkultur zu leben.
Auf Basis von über Monaten trainierten inneren Kompetenzen (Selbstkontakt, Selbstreflektion, Dialogqualität, Konfliktfähigkeit, Multiperspektivität, …) haben wir erreicht, dass wir keinen formalen Chef mehr brauchen. Jeder im Team darf fast alles entscheiden, muss sich aber vorher im Team beraten. Daher sind auch alle Informationen transparent, inkl. Gehälter. Kompetenzbasierte Hierarchien bilden sich nur temporär und je nach Projekt. Die klassischen Führungsfunktionen (Strategie, Akquise, Personal, etc.) sind komplett entflochten und werden von verschiedenen Teammitgliedern „gehalten“ (nicht entschieden!). Sie haben nur die Verantwortung, das Team zur Klärung von Diskrepanzen und einzelnen zentralen Entscheidungen anzuhalten. Diese treffen wir mit gewaltfreien Konsensmethoden.
Es gibt eine Vielzahl von Effekten: Die persönliche Weiterentwicklung, die Kommunikationsfähigkeit und die „Ownership“ der Kolleg*innen hat jede Erwartung übertroffen. Jedem Teammitglied wird enorme Autonomie zugestanden, die aber mit klarer Mitverantwortung für die Gesamtorganisation einhergeht. Niemand kann mehr klagen, dass „die da oben mal was machen müssten“. Die erfahrensten Teammitglieder konnten sich wichtigen internationalen Ashoka-Aufgaben widmen, weil das deutsche Team nicht mehr auf ihre „Führung“ angewiesen war. Viele Organisationen in unserem Umfeld sind von unserer Transformation angesteckt – auch weil wir nach außen alle hierarchischen Titel abgeschafft haben – und wollen ähnliche Wege gehen.
Wir beobachten viele Startups, die stark gründerdominiert und hierarchisch sind. Und wir sehen, dass viele Nonprofits stark harmonieorientiert sind und mutige Einzelentscheidungen von Teammitgliedern als rücksichtslos empfinden. Uns zeichnet aus, dass wir einen organischen Mittelweg eingeschlagen haben zwischen startup-typischer Schnelligkeit (keine endlosen Abstimmungsrunden, kein Demokratiezwang für jede Frage, jeder darf fix entscheiden) und non-profit-typischer Umsicht (herausragende Kommunikationsfähigkeit ist ein Muss, zwingende Beratung vor Entscheidung erschwert Egotrips, existentielle Entscheidungen im Konsens). Diese Kombination ist in unserer Branche extrem selten, aus unserer Sicht aber entscheidend für offene Innovationssysteme, die die Gesellschaft dringend braucht.
Wir sind Überzeugungstäter*innen und können es uns kaum mehr anders vorstellen zu arbeiten. Und ja, viele Elemente können eine Blaupause sein und sind es schon heute für Unternehmen, die sich auf einen ähnlichen Weg machen.
Ein wichtiges Element: Die Einsicht, dass der neuen Art zu arbeiten ein großes Stück innere Arbeit voranzustellen ist, will man nachhaltig Erfolg damit haben. Darauf muss man sich einlassen, ja, und gleichzeitig sind die Effekte und Potenziale so groß, dass wir diesen Weg immer wieder so gehen würden. Aus der Arbeit von Laloux und auch aus dem globalen Ashoka Netzwerk wissen wir: Auch für größere Organisationen und in allen Branchen kann diese Art der Führung gut funktionieren.
Viele springen auf den Trend (Zwang?) zu mehr „Agilität“ und „New Work“ auf, ändern Prozesse und Strukturen über Nacht und enden in kompletter Desorientierung der Belegschaft. Was uns praktisch einzigartig macht: Wir haben stattdessen mit unserer Beraterin Bettina Rollow konsequent die Entwicklung innerer Kompetenzen an den Anfang des Prozesses gestellt. Unsere Erfahrung: Nur wenn Kolleg*innen in gemeinsamen Workshops entdecken, wissen und angstfrei ausdrücken können, welche Bedürfnisse sie haben, wann sie sich sicher fühlen, was sie triggert und welche Werte ihnen wichtig sind, lässt sich an Führung und Selbstorganisation arbeiten. Diese innere Arbeit ist das Fundament für partizipative Meetingkultur, Großzügigkeit bei Fehlern, für Empathie, Mut und gemeinsame Gesamtverantwortung.