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Potenzialentfaltung im Job: So kommen Sie in den Flow

US-Erfolgsautor Steven Kotler im Interview

6. September 2021

Vollkommene Konzentration, restloses Aufgehen in einer Tätigkeit, ein echter Schaffensrausch - für all jene, die einen solchen "Flow" bei ihrer Arbeit erleben, ist das ein wunderbares Gefühl. Schon seit mehreren Jahrzehnten beobachten und analysieren Psycholog*innen diesen Fluss von Gedanken, Kreativität und Leistungsbereitschaft, der vieles einfach mühelos erscheinen lässt. Steven Kotler, einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Potenzialforschung, erklärt in diesem Interview, wie jeder unter bestimmten Bedingungen in diesen Zustand kommen kann. Überraschende Präsentationen in Vorstandsbüros inklusive. 

Als Steve Jobs Mitte der 80er-Jahre die Büros für die gerade von ihm gekaufte Animationsfilmfirma Pixar entwarf, tat er etwas, was vielen Leuten seltsam vorkam:  In der Mitte des neuen Gebäudes ließ er ein offenes Atrium errichten und platzierte darum dann Briefkästen, eine Cafeteria, Besprechungsräume und die Toiletten - die einzigen im Gebäude. Jobs wäre nicht Jobs gewesen, wenn diese für die damalige Zeit unorthodoxe Anordnung einen Grund gehabt hätte. 

Es "zwang die Mitarbeitenden aus dem ganzen Unternehmen, sich zufällig zu begegnen, was die Neuartigkeit, Komplexität und Unvorhersehbarkeit massiv erhöhte", schreibt der amerikanischer Pulitzer-Preiseträger Steven Kotler in seinem aktuellen Buch "The Art of the Impossible: A Peak Performance Primer“. Diese Faktoren, so Kotler, führen dazu, dass das Gehirn mehr Dopamin produziert, einen wichtigen Neurotransmitter, der für Vergnügen, Motivation, Gedächtnis und Konzentration zuständig ist. Und infolgedessen seien damals auch die Kreativität und Produktivität der Pixar-Mitarbeiter*innen steigert worden – ein wesentlicher Grund für die Erfolgsstory, die Pixar mit etlichen Oscar-prämierten Filmen danach schrieb, so Kotler weiter.

Denn die zufälligen Interaktionen hätten auch den so genannten "Flow" ausgelöst, einen einzigartigen Bewusstseins- und Konzentrationszustand, in dem beste körperliche und geistige Leistungen gelingen. Der Begriff wurde bereits in den 1970er-Jahren vom ungarisch-amerikanische Psychologen Mihály Csíkszentmihályi geprägt, der ihn sowohl auf Sportler, Wissenschaftler, Wirtschaftsgrößen und Künstler anwandte. Für ihn gab es sechs Merkmale für den perfekten Flow:

  • Vollständige Konzentration (auf ein begrenztes Feld)
  • Verschmelzung von Aktion und Bewusstsein
  • Verlust des Selbst(bewusstseins)
  • Ausdehnung der Zeit
  • ein Gefühl der Kontrolle
  • „autotelische“ Erfahrung (Mühelosigkeit)

Die gute Nachricht sei, dass es möglich ist, sich selbst so zu trainieren, um in einen solchen Aktivitätsfluss zu gelangen, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt seien, erklärt Steven Kotler: "Flow ist universell. Jeder kann überall in diesen Zustand gelangen, Und er kann zuverlässig und wiederholbar werden."

In den Flow zu kommen, geschehe zwar auf eine bestimmte Art und Weise. Aber es sei kein einheitlicher Prozess, was an der individuellen Persönlichkeit liege. Und dem System eines anderen zu folgen, könne gefährlich sein, sagt Kotler. "Bei vielen Methoden für bessere Persönlichkeitsentwicklung, persönliches Wachstum und Selbsthilfe ist es üblich, dass jemand zuerst herausfindet, was für ihn funktioniert - und dann versucht, es anderen beizubringen", so Kotler. "In der Regel ist das eine Katastrophe. Persönlichkeit ist nicht skalierbar."

Die grundlegenden Elemente der Persönlichkeit unterscheiden sich von Mensch zu Mensch. Zu den Persönlichkeitsmerkmalen, die eine entscheidende Rolle für Spitzenleistungen spielen, gehören die Einstufung auf der Introvertiert/Extrovertiert-Skala, die Risikotoleranz und die Bereitschaft, neue Erfahrungen zu machen. Sie sind genetisch kodiert und lassen sich nur schwer ändern, sagt Kotler: „Man kann Eigenschaften ändern, aber es wird eine Weile dauern, bis man sie überarbeitet hat. Wenn es um die Steigerung von Leistung geht, ist das kein guter Ansatzpunkt."

Laut Kotler gibt es zwar einige Hinweise darauf, dass bestimmte Persönlichkeitstypen eher zum Flow neigen, aber die Fähigkeit, in diesen Zustand zu gelangen, sei nicht von der Persönlichkeit abhängig. Flow sei ein evolutionärer Vorgang: "Er ist in unseren neurologischen Systemen verankert, die seit Millionen von Jahren existieren und sich entwickelt haben.“

Was aber sind nun die äußeren Faktoren, die jeden Menschen, bezogen auf seine berufliche Tätigkeit helfen, sein echtes Potenzial zu entfalten? Für Kotler gibt es dafür eine Reihe notwendiger Prozesse. Der erste sei die Etablierung von fünf intrinsischen, also aus sich selbst heraus entwickelten Motivatoren: Neugierde, Leidenschaft, Zielsetzung, Autonomie und Beherrschung. "Die ersten drei sind die Startrampen für Spitzenleistungen", sagt Kotler. "Autonomie ist der Wunsch nach Freiheit, den man braucht, um seine Leidenschaft und seinen Zweck zu verfolgen. Und die Beherrschung treibt Sie zur Kompetenz."

Danach gebe es viele Faktoren, die einen Flow auslösen können. Viele dieser Auslöser sind individuell, man müsse herausfinden, was für einen selbst funktioniert. Neben einem körperliche Wohlbefinden, dass durch eine gelungene Aktivität, das Erreichen eines Ziels oder einer Idee ausgelöst werden kann, gibt es auch im Arbeitsleben könne zum Beispiel ein Ereignis mit großen Konsequenzen sein, „etwa wenn der CEO Ihres Unternehmens Sie überraschend in den Sitzungssaal ruft“, so Kotler. Das berge ein Element der Gefahr, und jemand mit einer hohen Risikotoleranz werde eventuell feststellen, dass dieser Auslöser ihn zu Höchstleistungen treibt. 

Neben solchen Auslösern sei aber natürlich auch die körperliche und geistige Fitness notwendig in einem guten Zustand befinden, um Spitzenleistungen zu erzielen. Laut Kotler gibt es auch dafür spezifische Übungen, die dabei helfen, einerseits ein angemessenes Energieniveau aufzubauen, um Höchstleistungen zu erbringen. Sieben bis acht Stunden guten Schlaf pro Nacht, eine regelmäßige Flüssigkeitszufuhr und Ernährung sowie eine funktionierende soziale Umgebung aus Familie, Freunden und Kollegen. 

Und andererseits benötige man auch Methoden, um „Ängste in Schach zu halten“, die die Leistung erheblich behindern könnte. Kotler empfiehlt, sein Nervensystem mit einer täglichen Dankbarkeitsübung zu stärken – mithilfe einer Liste von drei Dingen, für die man dankbar sei."Es ist erwiesen, dass dies Ängste reduziert.“

Der zweite Schritt ist eine Achtsamkeits- und Atempraxis. Elf bis 20 Minuten konzentrierte Atmung pro Tag reichten aus, um Ängste konsequent abzubauen und Emotionen zu regulieren. Später könne man diese Übungen auch verlängern.  Für den Anfang empfiehlt Kotler, eine dieser Übungen pro Tag durchzuführen: "In Zeiten von Spitzenbelastungen machen Sie zwei oder drei.“

Kotler räumt ein, dass keiner dieser Tricks besonders innovativ oder sexy ist. "Es sind einfache psychologische Interventionen, die sich vor Millionen von Jahren entwickelt haben", sagt er.  „Aber wenn Ihr Chef Sie in den Sitzungssaal ruft, brauchen Sie etwas Zuverlässiges und Wiederholbares. Flow folgt dem Fokus. Er stellt sich nur ein, wenn Sie sich auf die anstehende Aufgabe konzentrieren. Wenn Sie ihre eigene Biologie verstehen und über ein paar dieser Methoden verfügen, können Sie bei der Arbeit produktiver sein und sich im Leben ein wenig besser fühlen."

Aufgezeichnet von Stephanie Vozza / Fast Company

*Steven Kotler ist ein preisgekörnter amerikanischer Autor, Journalist und Unternehmer. Mit seinen Büchern feierte er weltweit Erfolge. Kotler zählt zu den führenden Experten auf dem Gebiet der Erforschung der menschlichen Leistungsfähigkeit. Tesla-Chef Elon Musk lässt sich von ihm beraten. Auch Firmen wie Google, Dell und Sony setzen auf seine Analysen.

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