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„Work-Life-Blending braucht strikte Regeln“

Vermischung von Arbeit und Leben

18. Februar 2021

Zum Frühstück ein erster Videocall mit dem Team, nach einer Jogging-Einheit dann ein kurzes Meeting im Büro, mittags die Kinder holen und abends am Küchentisch noch die Präsentation fertig machen: Gerade in Pandemiezeiten, aber auch schon vor Corona, wächst die Anzahl der Menschen im Work-Life-Blending, das Arbeit und Privates überhaupt nicht mehr strikt trennt. Was entsteht, wenn die Bereiche immer mehr vermischt werden, welchen Stellenwert nimmt die Arbeit dann ein und welche Voraussetzungen müssen alle Beteiligten erfüllen? Darüber hat das NWX Magazin mit dem Business- und Life-Coach Bernhard Kniepkamp gesprochen.

NWX Magazin: Herr Kniepkamp, praktizieren Sie selbst Work-Life-Balance oder Work-Life-Blending?

Bernhard Kniepkamp: Das ist nicht so einfach zu beantworten: Da ich immer wieder selbstständig und festangestellt bin, kenne ich beide Welten. Im Moment würde ich sagen, dass ich sehr achtsam „blende“.

NWX Magazin: Worin unterscheidet sich denn das Work-Life-Blending von der Work-Life-Balance?

Kniepkamp: Das steckt schon ganz deutlich in den Begriffen: Bei der Balance geht es um die Abgrenzung. Ich trenne die Arbeit von der Freizeit und versuche, beides für mich in ein gutes Gleichgewicht zu bringen. Beim Work-Life-Blending packe ich Freizeit und Arbeit in einen „Blender“, also einen Mixer, und trenne es nicht mehr.

NWX Magazin: Also ist alles Arbeit und alles Freizeit? Klingt, als könnten Arbeitnehmer nur verlieren….

Kniepkamp: Das sehe ich anders: Ich halte das Blending für extrem sinnvoll, wenn die Voraussetzungen stimmen. Bei den Mitarbeitern ist dies vor allem eine starke innere Stabilität, gepaart mit einem hohen Reflexionsvermögen. Kurz gesagt: Sie müssen eine starke Persönlichkeit haben, sonst werden sie in einem Blending-Setting unweigerlich in den Burn-Out schlittern.

NWX Magazin: Wie sieht Work-Life-Blending konkret aus? Man stellt sich einen Tech-Campus im Silicon Valley vor, wo die Leute arbeiten, Sport machen, wohnen und die Kinder in die Kita bringen…

Kniepkamp: Solche „Blasen“ kenne ich in Deutschland nicht – bis auf Betriebskitas oder ein Fitnessstudio im Unternehmen. Ich würde auch ganz von dieser „Ghettoisierung“ als Ort des Work-Life-Blendings weggehen. Damit hat es nämlich gar nicht so unheimlich viel zu tun. Es funktioniert auch in einem ganz normalen Büro, das aber so gestaltet sein sollte, dass ich mich fühle, als gehe ich „von zuhause nach zuhause“. Da können auch Schlafgelegenheiten sein, müssen aber nicht. Ich kann auch im Büro einen Film anschauen und dafür zuhause arbeiten. Für die meisten Menschen findet die Vermischung von Arbeit und Freizeit im Kopf ohnehin schon statt – jetzt geht es vor allem darum, „im Außen“ die Rahmenbedingungen zu schaffen. Dann kann Work-Life-Blending eine win-win-win-win-Situation für Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Familie und Gesellschaft sein.  

NWX Magazin: Gibt es ein Beispiel, wie es genau ablaufen kann?

Kniepkamp: Work-Life-Blending bedeutet die Entkopplung der Arbeit von Ort und Zeit, das heißt, es geht darum, auch „Nein“ sagen zu können. Auch wenn der Chef vormittags um 10.17 Uhr anruft, kann ich auf „Ablehnen“ drücken, weil ich gerade Squash spiele. Vielleicht kann man es extrem verkürzt so sagen: Der Chef darf mich beim Squash anrufen, aber ich darf auch etwas: nicht rangehen. 

NWX Magazin: Das erfordert schon Mut.

Kniepkamp: Nein, eigentlich nicht, wenn es denn läuft. Denn wie gesagt, eine wichtige Voraussetzung ist ja, dass der Mitarbeiter eine starke innere Haltung hat, damit das Konzept überhaupt funktioniert. Und eine weitere Voraussetzung ist: Work-Life-Blending klappt nur in angstfreien Räumen. Nur wenn ich keine Konsequenzen befürchten muss, wenn ich nicht rangehe. Die angstfreie Atmosphäre ist auch ein Garant dafür, dass das Blending nicht zum Nachteil des Mitarbeiters geschieht und einfach nur in Überstunden ausartet: Wann komme ich überhaupt auf die Idee, mehr zu arbeiten als ich gerade bereit bin? Wenn ich Angst habe, dass der Chef sagt: Was hast du überhaupt im Home-Office gemacht? 

NWX Magazin: Klingt, als gäbe es nicht nur für die Mitarbeiter, sondern auch für die Chefs Voraussetzungen?

Kniepkamp: Auf jeden Fall, auch Führungskräfte brauchen eine starke Persönlichkeit, denn sie müssen einen Kontrollverlust und einen gefühlten Machtverlust verarbeiten. Und sie müssen in der Lage sein, ihre Führungsfunktion neu zu definieren. Auch der Chef muss Vertrauen geben und auch aushalten, dass der Mitarbeiter gerade nicht verfügbar ist. Dafür braucht es Regeln.

Regeln, die die Freiheit regeln?

Kniepkamp: Genau! Deadlines fallen ja nicht weg, nur weil ich „blende“ Es klingt paradox, aber gerade beim Work-Life-Blending ist es unabdingbar, Regeln zu haben, vielleicht sogar ein strikteres Regelwerk. Denn es klappt nur, wenn man sich transparent austauscht und ganz genau weiß, was die Erwartungen beider Seiten sind.

NWX Magazin: Wie wird denn dann Arbeitszeit gemessen?

Kniepkamp: Das ist tatsächlich eine Frage, die viele noch nicht abschließend geklärt haben. Schreibe ich dann den Fünf-Minuten-Anruf nach dem Squash auf? Oder gibt es gar keine Arbeitszeit mehr, sondern nur noch Projekte und Deadlines? Da kommt man schnell in unternehmenskulturelle Fragen: Wird die Zeit und das Gehalt frei gestaltet oder überhaupt selbst bestimmt? Wenn ich Work und Life mixe, was kommt dabei raus und gibt es „die Arbeit“ dann überhaupt noch?

NWX Magazin: Was denken Sie?

Kniepkamp: Der Arbeitsbegriff muss sich auf jeden Fall verändern. Noch ist Arbeit in den meisten Fällen mit Lohnerwerb gleichgesetzt. Studien zeigen aber, dass Arbeit der Stressfaktor Nummer 1 ist – und sehr negativ besetzt: „Endlich Feierabend“, „Ich habe einfach zu viel Arbeit auf dem Tisch“. Diese Sätze fallen häufig und verdeutlichen das schlechte Image. Fest steht: Mit einem so negativen Begriff wird man in einem Blending-Setting nicht glücklich werden. Was tritt also an die Stelle? Der Sinn. Work-Life-Blending kann nur glücklich und stressfrei ablaufen, wenn wir in dem, was wir tun, einen Sinn sehen. Dann fällt auch das Schwierigste leicht: Sich ohne Vorgaben selbst eine Struktur für den Tag zu schaffen.

Das Interview führte Maria Zeitler

Unser Gesprächpartner: Bernhard Kniepkamp coacht seit 2011 Menschen in privaten und Businesskontexten. Seine Themen sind u.a. Führung, Resilienz und Selbstwirksamkeit. Er hilft Unternehmen bei der Organisationsentwicklung, bei seinen privaten Coachings geht es auch um die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Mehr Infos unter www.bernhard-kniepkamp.de

Zum Thema Work-Life-Blending hat Bernhard Kniepkamp auch eine viel beachtete Masterclass im Rahmen der NEW WORK EXPERIENCE 2021 von XING im April abgehalten. Eine Zusammenfassung der NWX und einige weitere Höhepunkte gibt es unter diesem Link.  

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