Endorsement

"Grundeinkommen versetzt Menschen in eine bessere Verhandlungsposition"

NEW WORK AWARD-Gewinner "Mein Grundeinkommen e.V."

31. Mai 2021

Angetrieben von der Frage, wie wir als Gesellschaft in Zukunft leben wollen, stellen sich 32 Vollzeitaktivistinnen den Herausforderungen der sich wandelnden Arbeitswelt. Diese Herangehensweise brachte „Mein Grundeinkommen e.V.“ im letzten Jahr den NEW WORK AWARD* in der Kategorie NEW WORK ENABLER ein. Wir haben die Sprecherin Magdalena Sporkmann (Aufmacherbild Mitte) zum Gespräch getroffen.

Das Thema Grundeinkommen wird von vielen Seiten diskutiert. Könntest Du bitte den Ansatz Eures Projektes vorstellen?

Magdalena Sporkmann: Mein Grundeinkommen wurde 2014 von Michael Bohmeyer als gemeinnütziger Verein gegründet. Michael erhielt durch die jährlichen Ausschüttungen aus einer Unternehmensbeteiligungen eine Art Grundeinkommen, ungefähr tausend Euro pro Monat. Dieses Geld, für das er nicht mehr unmittelbar arbeiten musste, hat so viel in seinem Leben verändert, dass er sich fragte, ob andere Menschen auch diese Erfahrung machen würden, wenn sie ein monatliches Einkommen erhalten, ohne eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Daraufhin startete er eine überraschend erfolgreiche Crowdfunding-Aktion und verloste 2014 die ersten vier Grundeinkommen. Seither ist die Organisation immer weiter gewachsen. Inzwischen haben wir 33 Mitarbeiter*innen, die sich hauptberuflich dafür einsetzen, ein Bedingungsloses Grundeinkommen für möglichst viele Menschen erlebbar zu machen. Noch immer läuft die Finanzierung über Crowdfunding und jedes Mal, wenn 12.000 Euro zusammenkommen, ergibt das ein Grundeinkommen von 1.000 Euro pro Monat für ein ganzes Jahr.

Welche Voraussetzungen müssen diejenigen erfüllen, die sich dafür bewerben?

Magdalena Sporkmann: Bei der Verlosung des Bedingungslosen Grundeinkommens kann jeder und jede mitmachen. Man muss sich nur einen Account auf unserer Seite anlegen, das ist kostenfrei. Bisher haben sich 2,3 Millionen Nutzerinnen und Nutzer registriert. Bei uns gehen über 150.000 regelmäßige Spenden ein, damit finanzieren wir derzeit 20 Grundeinkommen pro Monat. Bisher konnten wir insgesamt 709 Grundeinkommen vergeben.

Was sind das für Leute, die spenden?

Magdalena Sporkmann: Das ist sehr unterschiedlich. Nicht wenige sind auch darunter, die selbst finanziell nicht so extrem gut aufgestellt sind, die also aus eigener Erfahrung wissen, wie es sich anfühlt, Existenzängste zu haben. Darunter sind Alleinerziehende, Künstler*innen oder Selbstständige mit kleinen Unternehmen. Sie engagieren sich in Form einer Spende, weil sie möchten, dass die Idee wächst und eines Tages vielleicht in größerem Rahmen umgesetzt wird. Im Durchschnitt spenden die Leute 6 Euro.

Warum ist Euer Projekt so wichtig, worin liegt der Mehrwert für die Arbeitswelt?

Magdalena Sporkmann: Das Grundeinkommen entkoppelt Arbeit und Einkommen und das ermöglicht letztendlich eine Neudefinition des Arbeitsbegriffs. Bisher denken wir in alten Kategorien: Wir müssen zunächst etwas leisten und dann bekommen wir Geld, von dem wir unsere Wohnung, unser Essen und alle anderen essenziellen Bedürfnisse bezahlen können. Mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen ist der Lebensunterhalt finanziert und der Mensch kann sich Sinn stiftenden und individuell passenden Tätigkeiten zuwenden.

Darüber hinaus versetzt das Grundeinkommen Menschen in eine neue Verhandlungsposition. Wenn ich nicht darauf angewiesen bin, meinen Job zu machen, um mein Überleben zu sichern, kann ich Hierarchien in Frage stellen, Mitsprache und Mitgestaltung einfordern und natürlich härter um die Bezahlung für meine Arbeit verhandeln. In der Partnerschaft lösen sich dadurch finanzielle Abhängigkeiten auf, es wird nicht mehr Care-Arbeit gegen Lohnarbeit aufgerechnet, sondern man begegnet sich auf Augenhöhe. Das Grundeinkommen ist auch eine Antwort auf die Digitalisierung. Es wird in Zukunft viele Menschen geben, deren Arbeit durch den Einsatz von Computern oder KI nicht mehr relevant ist und die finanziell aufgefangen werden müssen, damit sie sich beruflich neu orientieren können.

Wie messt ihr den Erfolg des Projekts und den Einfluss auf die Arbeitswelt?

Magdalena Sporkmann: Das Projekt läuft jetzt seit sechs Jahren und es zeigt Wirkung. Harte Kennzahlen haben wir dafür nicht, aber die Erfahrungen unserer über 700 Gewinner*innen zeigen deutlich, welchen Einfluss ein Jahr Bedingungsloses Grundeinkommen auf den persönlichen Kontext hat. Viele machen sich in dieser Zeit selbstständig, investieren in eine Weiterbildung, reduzieren ihre Arbeitsstunden zugunsten ihrer Familien oder handeln bei ihren Vorgesetzten bessere Arbeitsbedingungen aus.

Welche Hürden gab es beim Aufsetzen Eurer Idee?

Magdalena Sporkmann: Die größte Herausforderung bestand darin, eine geeignete Struktur für eine so stark wachsende Organisation wie unsere zu finden. Zu Beginn hatte der Gründer eine relativ prominente Führungsrolle inne. Dann stellte er aber fest, dass diese Form nicht zu den Werten passte, die Mein Grundeinkommen vertrat, und er entschloss sich, sämtliche Hierarchien abzuschaffen. Das wurde schwieriger, je mehr Mitarbeiter*innen dazu kamen, und um nicht im Chaos zu enden, wurde nach einer passenden Organisationsform gesucht. Anfang 2019 haben wir uns entschieden, Holacracy einzuführen, weil es in dieser Systemik zwar durchaus Hierarchien gibt, die aber situativ und flexibel funktionieren.

Was bedeutet NEW WORK für euch?

Magdalena Sporkmann: Wie gesagt, wir bedienen uns mit Holacracy einer Form von Selbstorganisation und kollektiver Führung, die wir durch Companionships ergänzen. Das heißt, jede Person hat drei Companions, die ihre oder seine persönliche und fachliche Entwicklung in der Organisation begleiten. Der Admin Companion kümmert sich um alle administrativen Aufgaben, von Feedbackterminen bis zu Geburtstagsgeschenken. Der Buddy Companion ist dafür zuständig, dass sich die Person menschlich in der Organisation gut aufgehoben fühlt und sich weiterentwickeln kann. Und der Job Companion ist für die Begleitung der beruflichen Entwicklung zuständig. Auf diese Weise wird jede*r Einzelne in allen Facetten seiner oder ihrer Persönlichkeit von den drei Companions gefördert, ist aber selbst auch wieder Companion für jemand anderen. So entsteht ein Netzwerk von Führung mit flachen Hierarchien.

Arbeitszeiten und Arbeitsorte sind für uns weitgehend flexibel, solange alle Projekte optimal abgedeckt und ausgeführt werden. Außerdem bekommen wir ein selbstgewähltes Gehalt. Die MitarbeiterInnen bestimmen nach den eigenen monatlichen Verbindlichkeiten ihren finanziellen Bedarf, allerdings auch mit Blick auf die Finanzen der Organisation. Das erfordert absolute Transparenz. Wir wissen alle zu jedem Zeitpunkt, wieviel gerade gespendet wird, wie hoch die Ausgaben der Organisation sind und wieviel die anderen verdienen. In dieser Konstellation setzen wir unseren Bedarf an, um unseren Lebensunterhalt, aber auch die Liquidität der Organisation zu sichern.

Wie seid Ihr auf den NEW WORK AWARD aufmerksam geworden und was bedeutet der Gewinn des NEW WORK AWARDS für Euch?

Magdalena Sporkmann: Wir wurden von den Organisator*innen des NEW WORK AWARDS eingeladen, uns zu bewerben, weil unser Projekt sowohl inhaltlich als auch von der Organisationsform gut in das Thema passt. Der Gewinn bedeutet natürlich eine riesige Anerkennung unserer Arbeit, mit der wir nach außen hin für NEW WORK eintreten und andererseits NEW WORK nach innen leben.

Wie geht es jetzt nach dem NEW WORK AWARD weiter – was sind Eure nächsten Schritte?

Magdalena Sporkmann: Vorhin habe ich erwähnt, dass uns bisher keine harten Kennzahlen zur Verfügung stehen. Nun wollen wir die Erfahrungen unserer Gewinner*innen wissenschaftlich belegen. Deshalb haben wir gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ein Pilotprojekt initiiert: Deutschlands erste Langzeitstudie zum Bedingungslosen Grundeinkommen. Dazu wird 122 Personen über drei Jahre hinweg ein monatliches Grundeinkommen von 1.200 Euro ausgezahlt. Die Teilnehmer*innen geben während der dreijährigen Periode in Fragebögen Auskunft über subjektive Faktoren wie Stress, Arbeits- und Familiensituation. In Kombination mit weiteren Testmethoden ermitteln wir daraus z. B. das psychische wie körperliche Stress- und Belastungslevel. Das ist weltweit das erste zivilgesellschaftlich finanzierte Pilotprojekt zum Bedingungslosen Grundeinkommen, weil es durch Spenden realisiert wird.

Eure 3 Top-Tipps für alle, die die Arbeitswelt von morgen mitgestalten möchten?

Tipp 1: Traut euch, groß zu denken. Zensiert euch nicht selbst schon von vornherein, sondern traut euch, eine Utopie zu verfolgen, ohne in einer endlosen Paralyse gefangen zu sein mit der Frage, ob die Idee schon perfekt genug ist.

Tipp 2: Einfach ausprobieren und flexibel bleiben. Das haben wir bezogen auf unsere Organisationsform auch so gemacht. Seid aber auch bereit, jederzeit den Kurs zu ändern, wenn die Ergebnisse nicht die sind, die ihr Euch gewünscht habt.

Tipp 3: Vertraut einander und weckt so die individuellen Superkräfte jedes Teammitglieds. Zahl ein selbstgewähltes Gehalts am Monatsanfang als Vertrauensvorschuss aus oder/und investiert in die (Selbst-) Führungsskills der Mitarbeiter*innen.

*Der NEW WORK AWARD geht in die nächste Runde - ab sofort sind Bewerbungen in den Kategorien NEW WORKER:IN, NEW WORK TEAMS und ZUKUNFTSWÜRFE möglich. Zusätzlich wird zum ersten Mal der NEW WORK PUBLIKUMSAWARD vergeben, in Kooperation mit der Plattform story.one auf der ganz persönliche NEW WORK-Geschichten veröffentlicht werden können. Mehr Infos zum AWARD, den einzelnen Kategorien und den Bewerbungsmodalitäten gibt es auf dieser Spezialseite. 


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