Digitale Tools übernehmen immer wichtigere Funktionen in der Personalauswahl. Schon jetzt sortieren Algorithmen und Bots Bewerber nach vermeintlich objektiven Kriterien aus. Doch wie fair geht es dabei wirklich zu? Haben alle Kandidaten tatsächlich die gleichen Chancen bei der KI? Recruitingexperter und Personalberater Uwe Schuricht* erklärt im Interview, warum er den menschlichen Faktor (noch) favorisiert.
Herr Schuricht, wie viel „menschlicher“ Anteil steckt noch in Ihrer Arbeit als Headhunter, wie viel ist schon von Algorithmen und Bots übernommen?
Uwe Schuricht: Unsere Arbeit ist nach wie vor eine Mischung aus Privatdetektiv und Partnervermittlung. Bei der Suche nach Kandidatinnen und Kandidaten helfen Algorithmen und Plattformen enorm. Früher war das Adressbuch und das Telefonverzeichnis das wesentliche Kapital von Headhuntern. Heute ist es viel wichtiger, die Angebote unserer Auftraggeber glaubhaft vermitteln und verkaufen zu können. Algorithmen können Menschen – noch – nicht überzeugen.
Wir fragen deshalb, weil Künstliche Intelligenz (KI) ja gerade DAS Thema in der HR-Branche ist. Auch bei Ihnen?
Schuricht: Künstliche Intelligenz ist natürlich auch bei uns DAS Thema. Es ist faszinierend, welche Potentiale Big Data und KI auch bei der Suche nach Mitarbeitern haben. Ein Algorithmus kann Lebensläufe oder E-Mails schneller und effektiver analysieren als dies erfahrene Researcher oder Headhunter können. KI kann die Eignungsdiagnostik unterstützen, aber bei der Beurteilung von Menschen stellt sie heute – noch – keine Bedrohung dar. Im Hinblick auf den Schutz der Persönlichkeit gibt es Entwicklungen, die sehr nachdenklich machen. Unternehmen in den USA setzen schon heute Face Analysis Tools bei Videointerviews ein, die klare Aussagen darüber treffen, ob ein Interviewpartner die Wahrheit sagt. Der Einsatz solcher Algorithmen ist bei uns verboten, weil die Persönlichkeitsrechte von Bewerbern vor dem Erwerbsinteresse von Unternehmen geschützt werden.
Sie glauben also nicht, dass Algorithmen die besseren Personaler sind?
Schuricht: Nein, Algorithmen werden Personaler nicht ersetzen können. Aber die Digitale Transformation macht auch vor Personalern nicht Halt. Digitale Arbeitsprozesse, agile Organisationsformen und innovative Algorithmen werden die Personalarbeit stark verändern. Aber die Zukunft gehört gut ausgebildeten HR-Spezialisten, die souverän mit digitaler Technologie umgehen.
Maschinen kennen aber keine Vorurteile, sie urteilen doch nur nach objektiven Leistungen und Daten. Sind sie damit nicht gerechter?
Schuricht: Es stimmt, dass Maschinen keine Vorurteile kennen. Sie können aber auch nicht verlässlich Potentiale einschätzen, die Chemie zwischen Menschen beurteilen oder professionelle Entwicklungen vorhersagen. Ob ein Mensch das Zeug dazu hat, z. B. in einer völlig neuen Branche andere Aufgaben erfolgreich zu übernehmen, können Maschinen noch nicht beurteilen. Auch wenn der Personaler es natürlich nicht wissen kann, vermag er mit einiger Erfahrung wahrscheinliche Entwicklungen einzuschätzen. Ob es gelingen wird, Systeme zu programmieren, die solche Einschätzungen ermöglichen und den Faktor Mensch bei der Beurteilung dieser sogenannten "Weichen Faktoren" ganz zu ersetzen, ist eine sehr spannende Frage.
Wie realistisch sind dann Ihrer Meinung nach überhaupt Szenarien, nach denen die meisten Bewerber in Zukunft von künstlich intelligenten Automatismen statt von Menschen ausgewählt werden? Alles nur ein großer Hype, oder gibt es Anwendungsbereiche, in denen es in der Personalsuche sinnvoll ist, Algorithmen zu nutzen?
Schuricht: Es gibt eine Menge von Berufen und Industrien, in denen künstliche Intelligenz und Bots in Zukunft mögliche Arbeitskräfte identifizieren werden. Algorithmen können schon heute Datenbanken durchsuchen und Menschen vorschlagen, die für bestimmte Aufgaben geeignet erscheinen. Insbesondere wird die Überprüfung von Fachkenntnissen und Kompetenzen durch Softwaresysteme effektiver sein, als wenn die Mitarbeiter der Personalabteilungen diese Aufgabe wahrnehmen. Allerdings wird der Faktor Mensch bei der Auswahl des Menschen, dem ein Unternehmen ein Angebot machen will, weiterhin von entscheidender Bedeutung bleiben. Das beste Beispiel dafür ist sicher Google, die nur Kandidaten anstellen, die „googley“ sind. Und selbst Google verlässt sich bei der Entscheidung über die „Googliness“ seiner Bewerber nicht nur auf einen Algorithmus.
In den letzten Jahren sind auf dem HR-Markt viele neue Firmen aufgetaucht, die mit einer hohen Zahl von Datensätzen und dadurch schnellen und exakten Besetzungen werben. Was ist Ihre Einschätzung solcher Angebote?
Schuricht: Es stimmt, dass immer mehr Start-ups auf den HR-Markt drängen und behaupten, sie würden den Personalberatungsmarkt „disrupten“ und über Daten verfügen, die eine schnelle und passgenaue Besetzung offener Stellen garantieren. Mich erstaunt immer wieder, wie unkritisch über diese Angebote berichtet und wieviel Geld in diese Unternehmen investiert wird. In einem Markt, in dem es für bestimmte Berufe wie Data Analysten, Full Stack Developer und andere Tech-Positionen schon heute eine enorme Nachfrage gibt, die das Angebot an Arbeitskräften weit übersteigt, ist es ganz einfach unseriös und realitätsfern zu behaupten, offene Stellen könnten durch das Beauftragen eines Start-ups und das Entrichten einer im Vergleich zu Personalberaterhonoraren vergleichsweise geringen Gebühr besetzt werden. Besonders skurril sind Unternehmen, die angeblich mit Spitzenkräften gefüllten Datenbanken bewerben und gleichzeitig x-beliebige Kandidatinnen und Kandidaten damit locken, dass ihnen Geldprämien in Aussicht gestellt werden, wenn sie sich auf deren Plattformen registrieren. Ich bin sicher, die großen Professional Networks und Jobseiten wie Linkedin, XING oder Indeed werden auch in Zukunft eine wichtige Rolle im Personalmarkt spielen. Sie arbeiten bereits heute erfolgreich mit Personalberatungsunternehmen zusammen. Viele Start-ups, die jetzt einfache und schnelle Lösungen versprechen, werden im harten Alltag des Personalmarkts nicht überleben.
Interview: Ralf Klassen
*Zur Person: Dr. Uwe Schuricht arbeitet seit vielen Jahren in den Bereichen Executive Search und Human Resources, zunächst als Berater bei Egon Zehnder International und danach als Generalbevollmächtigter für Personalentwicklung und Unternehmenskommunikation der Axel Springer AG. Vor rund zehn Jahren gründete Schuricht die Personalberatungs- und Headhunting-Agentur CHANGE GROUP in Berlin.
(Das Interview haben wir von unseren Kolleg*innen von bewerbung.com übernommen)