Die sprunghafter Entwicklung von KI-Tools in der Arbeitswelt stellt viele Unternehmen vor die Herausforderung, ihre Mitarbeiter in der neuen Technologie zu schulen. Der IT-Dienstleister Datev hat im vergangenen Jahr eine unternehmensweite Lerninitiative für seine über 9000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gestartet, die mit innovativen und leicht zugänglichen Formaten Berührungsängste gegenüber der KI abbauen und auch Skeptiker und absolute Einsteiger zum Ausprobieren animieren will.
Effizienzbooster oder Job-Killer: Beim Thema Künstliche Intelligenz ist Deutschlands Workforce laut dem aktuellen XING-Arbeitsmarktreport geteilter Meinung. Für Matthias Seiller liegt die Wahrheit in der Mitte: „KI wird Menschen nicht einfach ersetzen, aber Menschen, die KI können, werden Menschen ersetzen, die es nicht können,“ glaubt der studierte Medieninformatiker. Seit 2021 arbeitet Seiller bei Datev als agiler Lerncoach im Weiterbildungsteam. Sein aktueller Auftrag: 9.000 Kolleginnen und Kollegen zu Menschen zu machen, die KI können.
Vor rund einem Jahr hat der deutsche IT-Dienstleister eine unternehmensweite Lerninitiative rund um Künstliche Intelligenz gestartet. Die „AI-XPERIENCE“ soll Mitarbeitende dazu anregen, sich aktiv mit der neuen Technologie zu beschäftigen und ihnen erste konkrete Erfahrungen beim Einsatz von generativer KI im Arbeitsalltag vermitteln. Eine KI-Task Force um Matthias Seiler und seiner Kollegin Eva Danhof, bei Datev für IT-Lernangebote verantwortlich, haben das Konzept entwickelt, das auf einen Mix aus Selbstlernen und Präsenzveranstaltungen setzt.
Lust aufs Experimentieren sollen die sogenannten „Promptathons“ wecken - eintägige Workshops, bei denen bis zu 100 Teilnehmer in Kleingruppen verschiedene Aufgaben aus dem Arbeitsalltag mittels Sprach-KI lösen. Mit selbstverfassten Arbeitsanweisungen (Prompts) bringen die Teams den KI-Bot beispielsweise dazu, Programm-Code zu schreiben, bei einem Onboarding zu assistieren oder ein Lerncoaching durchzuführen.
Vorkenntnisse sind nicht erforderlich: „Das nötige Werkzeug wird vormittags vermittelt und in den Teams helfen sich alle gegenseitig“, sagt Matthias Seiller. Die Spannbreite reiche vom völligen KI-Neuling bis zum KI-Fan mit privatem ChatGPT-Premium-Account. Ganz bewusst finde das KI-Lernformat als unterhaltsamer Wettbewerb in Präsenz statt: „Prompting lernt man vor allem durch praktisches Ausprobieren“, so der Lerncoach: „In einer spielerischen Umgebung fällt das Lernen zudem oft leichter als allein vor dem Bildschirm.“ Bei den Promptathons herrsche gute Stimmung, am Ende des Tages würden in einem spielerischen KI-Verfahren die Gewinner gekürt. Rund 1.000 Mitarbeitende haben 2024 bereits teilgenommen, Ende des Jahres fand sogar ein XL-Workshop für 300 Prompting-Interessierte im Nürnberger Max-Morlock-Stadion statt.
Geeignete Räumlichkeiten mit ausreichend Steckdosen und stabiler Internet-Verbindung vorausgesetzt, seien Promptathons auch für kleine und mittelständische Unternehmen einfach zu organisieren, so Seiller. Leitfäden gäbe es sogar online. Äußerst hilfreich seien allerdings klare KI-Regeln. Sein Vorteil: Datev hat für den Einsatz von generativer KI am Arbeitsplatz frühzeitig ein transparentes Regelwerk formuliert, das konsequent weiterentwickelt wird. Für Anwendungen, mit höheren Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit, können Mitarbeitende zudem ein internes Datev-GPT auf unternehmenseigenen Servern nutzen.
Die Prompting-Events dienen vor allem als Initialveranstaltung, die Lust auf KI machen. Zweite Säule der Lern-Initiative sind Mitarbeitende, die bereit sind, ihr KI-Wissen intern zu teilen. Interessierte Mitarbeitende können sich vom Weiterbildungsteam zum „AI-Xplorer“ qualifizieren lassen. „Wir wünschen uns, dass sie als Lernmultiplikatoren in ihrem direkten Umfeld selbst KI-Lernerfahrungen gestalten, Fragen beantworten und konkrete KI-Use-Cases in ihrem Arbeitskontext herausarbeiten“, erklärt Eva Danhof. Ergänzt wird das KI-Upskilling bei Datev mit einem wachsenden Angebot an Selbstlernmaterialien, kuratiert durch das Weiterbildungsteam.
Wie bei jeder neuen Technologie gelte es Ängste, Vorbehalte und Desinteresse auszuräumen, so Matthias Seiller: „Experimentieren und Kommunizieren“, empfiehlt der Lerncoach. Damit Künstliche Intelligenz zum Produktivitätsbooster werde, müssten Unternehmen zudem konsequent weiter digitalisieren: „Die beste KI bringt nichts, wenn die Mehrzahl der Arbeitsprozesse auf Papier und per Fax stattfinden“, so Seiller. Abwarten sei keine Option: „Wenn wir von der dynamischen Entwicklung nicht abgehängt werden wollen, müssen wir jetzt aktiv werden,“ sagt er.
Text: Kirstin von Elm