Ein angeblich besseres Verhandlungsgeschick von Männern zählt ab sofort nicht mehr als Ausrede bei ungleicher Bezahlung: Nach einem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts dürfen Arbeitgeber vom Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ nicht abweichen, nur weil ein Mann höhere Gehaltsforderungen stellt als seine Kollegin. Das Urteil könnte nun allen Frauen den Weg zu gleichen Löhnen erleichtern.
Der Fall, der vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt verhandelt wurde, könnte tatsächlich als Präzedenzfall dienen, weil er so oder so ähnlich oft in der Arbeitswelt vorkommt: Die Klägerin Susanne Dumas hatte zwischen 2017 und 2021 bei der Photon Meissener Technologies GmbH gearbeitet. Sie sah sich gegenüber einem ihrer männlichen Kollegen benachteiligt. Beide übten eine vergleichbare Tätigkeit aus, hatten in etwa die gleiche Berufserfahrung und Ausbildung und waren in ihrem Job fast gleichzeitig gestartet. Die Frau und der Mann vertraten sich über längere Zeiträume sogar regelmäßig gegenseitig. Trotzdem verdiente die Angestellte deutlich weniger als ihr Kollege. Und gewann nun vor Gericht: Der ehemaligen Mitarbeiterin stehen damit knapp 15.000 Euro entgangener Lohn und eine Entschädigung von 2.000 Euro zu.
Wenn Frauen und Männer wie im verhandelten Fall bei gleicher Arbeit unterschiedlich bezahlt würden, begründe das die Vermutung der Diskriminierung wegen des Geschlechts, sagte die Vorsitzende Richterin Anja Schlewing. Diese Vermutung könnten Arbeitgeber nicht mit dem Argument widerlegen, der Mann habe besser verhandelt oder er sei perspektivisch für einen Leitungsjob vorgesehen, so die Richterin.
„Dieses Urteil ist ein Meilenstein auf dem Weg zur gleichen Bezahlung von Frauen und Männern. Gleiche Bezahlung kann nicht wegverhandelt werden – diese Klarstellung war überfällig“, betont Sarah Lincoln, Prozessbevollmächtigte der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Klage unterstützt hatte. In der Praxis bedeute das: Arbeitgeberinnen können zwar auf Lohnforderungen eines Arbeitnehmers oder Bewerbers eingehen. Einer gleichermaßen qualifizierten und erfahrenen Mitarbeiterin müssen sie dann aber auch den Lohn erhöhen.
"Seit 1949 steht es im Grundgesetz, heute ist es endlich in der Arbeitswelt angekommen: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Ich widme diesen Erfolg meinen beiden Töchtern und stellvertretend allen Frauen in Deutschland. Seid mutig, seid laut und lasst euch niemals die Butter vom Brot nehmen!“, sagte Susanne Dumas.
Seit 1957 gilt die europarechtliche Equal Pay-Vorgabe direkt für alle Arbeitgeber*innen, Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen müssen durch arbeitsbezogene, objektive Gründe gerechtfertigt sein. Deutschland gehört in Sachen gleicher Bezahlung zu den Schlusslichtern in Europa und enthielt sich erst kürzlich bei der Abstimmung über eine neue EU-Richtlinie zu Equal Pay. „Auf Fortschritte durch den Gesetzgeber oder Arbeitgebern warten wir leider seit Jahren vergeblich. Der heutige Durchbruch ist einmal mehr der Ausdauer einer mutigen Frau zu verdanken, die den Rechtsweg nicht gescheut hat“, sagt die Rechtsanwältin Susette Jörk, die die Klägerin gemeinsam mit Sarah Lincoln vertreten hat.
Wie stark die Unterschiede in der Entlohnung von Frauen und Männern noch sind, zeigt die aktuelle Erhebung des Statistischem Bundesamts anlässlich des Equal Pay Days am 7. März. Danach verdienten Arbeitnehmerinnen im vergangenen Jahr pro Stunde 18 Prozent weniger als Arbeitnehmer. Der bereinigte Gender-Pay-Gap (also der Gehaltsunterschied in direkt vergleichbaren Job-Positionen) lag im Jahr 2022 bei durchschnittlich sieben Prozent.
Der Gehaltscheck 2023 der Informationsplattform kununu* auf Basis von über 360.000 Gehaltsangaben zeigt dabei, dass zwischen den Branchen ein teils erheblicher Unterschied in der Entwicklung des Gender-Pay-Gaps mit zunehmender Berufserfahrung besteht. Demnach steigt der Gehaltsunterschied in den Branchen Beratung, Pflege und Pharma um eine zweistellige Zahl an Prozentpunkten an, während er sich beispielsweise in der Immobilienbranche minimal verringert.
„Der Gender-Pay-Gap steigt mit zunehmender Berufserfahrung deutlich. Mit sechs bis zehn Jahren im Beruf beginnt häufig die Lebensphase, in der Familien gegründet werden. Dass der Gender-Pay-Gap in dieser Zeit noch weiter steigt, ist ein Indikator dafür, dass die Familiengründung für Frauen noch immer eine Karrierebremse ist”, erklärt Nina Zimmermann, CEO von kununu. „Gehaltstransparenz hilft, diese Missstände offenzulegen. Politik und Arbeitgeber sind in der Pflicht, aktiv gegenzusteuern und Karriere- und Fördermöglichkeiten weiter zu verbessern”, so Zimmermann weiter.
*Erhebungszeitraum ist das Jahr 2022
red/TH