Die Transformation der Arbeitswelt durch Faktoren wie Digitalisierung, flexible Arbeitszeiten und -orte sowie veränderte Work-Life-Einstellungen legen auch ein Umdenken in Punkto Arbeitsvergütung nahe. Immer mehr Organisationen versuchen deshalb, mit „New Pay“-Strategien neue Wege zu gehen. Doch diese Prozesse gestalten sich oft schwierig. Wie alternative Gehaltsmodelle erfolgreich in Unternehmen eingeführt werden können, erklärt Nadine Nobile* in ihrem Gastbeitrag.
Wie sehen die Wege zu New Pay aus? An welchen Stationen führen sie vorbei? Welche Herausforderungen lauern auf der Reise? Vor allem die Verunsicherung, die hinter der letzten Frage steht, ist einer der Gründe, warum Unternehmen weiterhin auf klassische Weise ihr Vergütungssystem weiterentwickeln. Hinter verschlossenen Türen wird akribisch von einer kleinen Gruppe von Expertinnen und Experten vorbereitet, was dann zu einem Stichtag kommuniziert und von oben herab ausgerollt wird.
Wenn man sich die zunehmende Transparenz von Gehaltsdaten im Netz anschaut, sei es bei Kununu, Stepstone oder Glasdoor, wird einem schnell klar, dass bereits diese Entwicklung zu zunehmenden Gesprächsbedarf auf Mitarbeitenden-Seite führt. Aber auch kulturell fühlt sich das von oben verabschiedete Gehaltssystem für immer mehr Beschäftigte schräg an, und das nicht nur in Start-ups oder agilen Vorreiterunternehmer.
Große Budgets für Employer Branding Kampagnen zu verwenden und gleichzeitig Mitarbeitenden im Gehaltsgespräch nur kryptische Halbinformationen aufzutischen ist nicht nur widersprüchlich, sondern führt über kurz und lang zu einer Vielzahl von Spannungsfeldern und untergräbt im schlimmsten Fall Vertrauen sowie Glaubwürdigkeit.
Es ist also an der Zeit, neue Wege zu beschreiten – und die eigene Verunsicherung zwar wahrzunehmen aber nicht zum Hinderungsgrund werden zu lassen. Die Reise wird dabei an folgenden Stationen vorbeiführen.
Der Start eines jeden (Weiter-)Entwicklungs-Prozesses beginnt mit der Feststellung, dass es etwas zu tun gibt im Hinblick auf das Vergütungssystem. Doch was ist dieses „Etwas“? Wodurch ergibt sich eine Notwendigkeit Kapazitäten zu investieren? Geht es bei den Unzufriedenheiten, die mit dem Gehalt im speziellen oder dem Gehaltssystem als Ganzes verbunden werden, wirklich um ebendiese? Oder sind Menschen unzufrieden mit ihren Aufgaben, fehlt es ihnen an Wertschätzung oder reiben sie sich auf an starren Strukturen und unnötigen Prozessen?
Gerade für den Projektauftakt ist es hilfreich, unterschiedliche Auffassungen zu betrachten, ein gemeinsames Bild zu entwickeln und blinde Flecken zu identifizieren.
Das Spektrum an Gründen, die dafür sprechen, das Gehaltssystem in den Blick zu nehmen, ist breit.
Aber auch:
Aus der Ausgangsituation und dem daraus resultierende Handlungsbedarf folgt die Ableitung des Projektrahmens. Hier empfehlen wir mit den Entscheidungsträger:innen Eckpunkte abzustecken:
An welchem Zukunftsbild soll das Projekt sich ausrichten? Was sollen Beschäftigte künftig über das Vergütungssystem sagen? Dies gibt Orientierung im Hinblick auf handlungsleitende Werte und Prinzipien für das Vergütungssystem selbst, sowie für die Art und Weise wie das Projekt selbst angelegt werden muss.
Eine der bedeutsamsten Fragen rund um die (Neu-)Gestaltung von Vergütungssystemen ist, wer an der Entwicklung in welcher Form beteiligt ist. Klassisch delegiert die Geschäftsführung ein solches Projekt in die Fachabteilung – also HR. Und ja, HR ist ein wichtiger Akteur bei der Weiterentwicklung. Wir empfehlen jedoch das Projektteam breiter und diverser aufzustellen.
Wie divers hängt von vielen Faktoren ab:
Darüber hinaus gilt es festzulegen, wer unter welchen Bedingungen über das neue Vergütungssystem entscheidet: Und nein, es muss nicht immer die Geschäftsführung sein. Von Entscheidungen, die in einem Einigungsverfahren zwischen Projektteam und Geschäftsführung erfolgen bis hin zu Entscheidungen, die durch das Projektteam selbst getroffen werden, ist alles denkbar. Klarheit im Entscheidungsverfahren wirkt dabei motivierend auf das Projektteam und gibt Sicherheit im Projektverlauf.
Nachdem das Projektteam sich gefunden hat, geht es los mit der nächsten Etappe. Die Erkundungsphase ermöglicht auf der einen Seite den eigenen Horizont zu erweitern: Zum einen durch Beispiele anderer Organisationen, zum anderen durch gezieltere Auseinandersetzung mit den Problemlagen der jeweiligen Organisation. Hier hilft es das Schwarmwissen der Organisation anzuzapfen, von New-Pay-Pionieren zu lernen und sich bewusst mit bestehenden Spannungsfeldern auseinanderzusetzen.
Unzufriedenheit entsteht in Gehaltsprozessen oft nicht durch die Kriterien und die definierten Gehaltsprozesse selbst, sondern durch die Art und Weise wie Prozesse und Kriterien vermittelt werden und wie sich die beteiligten Menschen in den definierten Prozessen begegnen.
Hier unterscheiden wir die folgenden drei Reisedestinationen.
Für alle drei Destinationen gilt:
Je größer die Veränderung, desto bedeutsamer wird es für das Projektteam über partizipative Formate das Gespür dafür zu schärfen, was der gelebten oder auch angestrebten Kultur der Organisationen dient. Wir treffen immer wieder auf Unternehmen, die sich überambitionierte Ziele hinsichtlich Eigenverantwortung, Transparenz oder Flexibilität stecken und schlussendlich mehr Konflikte verursachen, als dass sie zu lösen vermögen.
Umfassend informieren – wohlwollend Zuhören – gemeinsames Verständnis fördern – Unsicherheiten begegnen. So lautet unser Mantra bei der Projektbegleitung. Daraus folgt: die Umsetzung braucht mehr als erklärende Informationsveranstaltungen. Wir empfehlen offene Dialogformate zu etablieren und das bereits während der Entwicklungsphase. Informationen und Gesprächsangebote müssen dabei leicht zugänglich sein und, je nach Größe der Organisation, auf spezielle Zielgruppen zugeschnitten sein.
Sind alle Prozesse und Kriterien verständlich? Wie schätzen Mitarbeitende und prozess-verantwortliche Rollen die Prozessqualität ein? Wird das Gehaltssystem als stimmig zu den gelebten Werten der Organisation empfunden? Und erzielt das neue Vergütungssystem die angestrebte Wirkung? Vier Fragen, die sich jede Organisation in jeder Reflexion des Gehaltssystems beantworten sollte.
Im Vergleich zu klassischen Vergütungssystemen, reagieren New-Pay-Ansätze auf veränderte Bedarfe – intern wie extern. Im Sinne einer lernenden Organisation fließen Beobachtungen von fehlgeleiteten Wirkmechanismen zeitnah in die Weiterentwicklung ein.
Wer nach einer Blaupause für das eigene Vergütungssystems sucht, wird an dieser Stelle enttäuscht. Was für ein Unternehmen funktioniert, kann in einem anderen zu Problemen führen. Jede Organisation sollte deshalb ein individuelles Vergütungssystem entwickeln und sich trauen, eigene Wege zu beschreiten.
*Über die Autorin: Nadine Nobile begleitet als Gründerin der Beratung CO:X Menschen in Organisationen dabei, neue und vor allem eigene Wege zu finden, um ihre Zukunft in einem dynamischen Umfeld aktiv mitzugestalten. Ihre Schwerpunkte dabei sind Organisations- und Führungsmodelle, Transformationsprozesse und alternative Vergütungsmodelle. Ihr Gastbeitrag für das NWX Magazin erschien zuerst bei new-pay.org.
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