NEW WORK kann nicht vor dem Tabuthema Vergütung Halt machen. Wenn die Arbeit flexibler wird, und traditionelle Rollen aufgeweicht werden, taugen alte Entlohnungsmodelle und individuelle Leistungsboni nicht mehr – und auch nicht, dass der lauteste und aggressivste Mitarbeiter die dickste Lohnerhöhung bekommt. Alternative Konzepte sind gefragt, die stark auf Mitbestimmung, Fairness und vor allem Transparenz setzen. Doch für das neue Modell „New Pay“ gibt es kein Patentrezept – je nach Unternehmen und Kultur müssen individuelle Lösungen gefunden werden. Von Rating über Wunschgehalt und Einheitslohn testen gerade viele Organisationen, wie Bezahlung in der neuen Arbeitswelt aussehen kann. Mit verschiedenen Ansätzen – und unterschiedlichem Erfolg.
Modell Einheitsgehalt
Bei CPP Studios in Offenbach müssen Bewerber keine Gehaltsvorstellungen angeben und es wird nicht über den Lohn verhandelt: Die Kommunikationsagentur zahlt allen Festangestellten ein Einheitsgehalt, alle bekommen das Gleiche. Völlige Transparenz also, auch was die Finanzen des Unternehmens selbst angeht. Einmal im Jahr wird Kassensturz gemacht und Mitarbeiter und Geschäftsführer entscheiden zusammen, ob sie sich einen Extrabonus auszahlen oder den Gewinn investieren.
Bestätigt wird dieses Modell von einer Studie aus Zürich: Je größer die Lohnunterschiede in einem Team sind, desto schlechter wird die Gesamtleistung, fand Studienleiter Dr. Bruno Frey heraus. Wer sich mit Kollegen in ähnlicher Position vergleicht, die mehr verdienen, hat das Gefühl, seine Arbeit wird nicht ausreichend gewürdigt. Er fühlt sich ungerecht behandelt, was zu sinkender Motivation führt. Diese Erfahrung hat CPP tatsächlich auch selbst gesammelt: Nach der Einführung des Einheitslohns gab es Beschwerden erfahrenerer Mitarbeiter, daraufhin bekamen weniger Erfahrene auch weniger Geld. Doch bei denen ließ dann die Motivation extrem nach, sie machten früher Feierabend und gaben Verantwortung ab. Nach einer neuen Auseinandersetzung bekamen alle wieder das Gleiche und nun funktioniert es.
Modell Wunschgehalt
Noch mehr Mitbestimmung gibt es bei der Kommunikationsagentur Wigwam in Berlin-Wedding: Dort gibt es für alle fest angestellten Mitarbeiter ein Wunschgehalt. Und das liegt in der Natur der Sache: Denn 2016 wandelte sich die GmbH in eine Genossenschaft: Alle waren plötzlich Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichzeitig. Weil alle gemeinsam wirtschaften, sich für Projekte entscheiden und auch alle haften, kam schnell der Wunsch auf, dass auch das Gehalt transparent und selbstbestimmt sein sollte. So beschreibt die Agentur selbst das Modell: „Jedes Mitglied gibt innerhalb des Wigwam Teams transparent an, was es mit Blick auf die eigenen Lebensumstände, persönliche Arbeits- und Lebenserfahrung sowie aktuelle Wünsche verdienen möchte. Begründet werden muss der eigene Wunsch aber nicht.“ Nach der ersten Runde stellte sich heraus: Die Wünsche lagen nur 20 Prozent über dem schon bislang ausbezahlten Betrag – also wurde anteilig gekürzt: 2016 bekamen die Mitarbeiter 80% des Wunschgehalts ausgezahlt, im März 2021 schon 92%. Die Unternehmenszahlen liegen ebenso offen wie das Gesamtbudget – und damit sich niemand selbst ausbeuten kann, gibt es einen Gehaltsuntergrenze: „Weniger als 2.700 Euro brutto für eine Vollzeitstelle von 38,5 Stunden sollte niemand bekommen.“
Geld ist nicht alles. Dieses Prinzip gilt auch hier: Arbeitszeit, Arbeitsort und Wohnort können ebenso flexibel gewählt werden wie die Projekte und Themen, an denen man arbeiten will. Das steigert die Zufriedenheit – belegen auch viele Studienergebnisse, die sagen, dass sich das Gehalt nur minimal auf die Arbeitsmotivation auswirkt. Viel wichtiger sind Faktoren wie Wertschätzung und Verantwortung. Gehalt gilt lediglich als Hygienefaktor: Ein fairer Lohn kann also Unzufriedenheit verhindern, aber die Zufriedenheit lässt sich mit Lohn nicht unendlich steigern.
Modell New Pay im Öffentlichen Dienst
Der Tarifvertrag im Öffentlichen Dienst lässt keinen Spielraum für Gestaltung? Darauf wollte man sich beim Bauhof im baden-württembergischen Herrenberg nicht ausruhen. Eine Mitarbeiterbefragung ergab, dass ein Großteil der Beschäftigten im Amt für Technik, Umwelt und Grün der Stadt Herrenberg unzufrieden mit der bestehenden Arbeitssituation war – insbesondere die Mitarbeiter des Bauhofs. In Zusammenarbeit mit ihnen wurde zunächst ein New-Work-Ansatz gestartet: Sie entschieden sich einstimmig, dass das Prinzip der Selbst-Organisation umgesetzt wird: Eine frei gewordene Meisterstelle wurde nicht nachbesetzt und die Aufgaben stattdessen im Team und in Eigenverantwortung erledigt.
Sieben der zwölf Mitarbeiter erklärten sich bereit, Führungsaufgaben zu übernehmen: Sie nehmen im Wechsel die Rolle des „Vier-Wochen-Mannes“ ein, der in dieser Zeit Ansprechpartner für Arbeitsplanung, Kundenberatung oder Fachämter ist. Doch mit NEW WORK stellte sich die Frage nach New Pay, da gerade bei den Mitarbeitern unterer Lohngruppen begrenzte Möglichkeiten zur Weiterentwicklung zur Verfügung stehen. In Herrenberg wurde das so gelöst: Die Selbstorganisation führte bei vielen zu höherwertigen Aufgaben, die im Rahmen des Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes (TVöD) auch besser bezahlt werden konnten. Zusätzlich wurden Möglichkeiten der leistungsorientierten Bezahlung ausgeschöpft: Dafür definierten die Mitarbeiter einen Verteilerschlüssel, so dass alle diese Einmalzahlung erhalten. Die Mitarbeiter, die als Vier-Wochen-Mann fungieren, können aufgrund der Führungsposition besser bezahlt werden.
Das Argument „Bei uns geht das nicht“ dürfte durch das Beispiel bei der Stadtverwaltung mit strengem tariflichen Konzept abgeschwächt werden. Dennoch: Ebenso wenig wie Herrenberg auf eine Blaupause aus anderen Verwaltungen zurückgreifen konnte, kann es als solche dienen. New Pay-Ansätze sind so individuell wie die Organisation und können fast nie einfach eins-zu-eins übertragen werden. Schon allein, weil Transparenz und Mitbestimmung zentral sind und ein erfolgversprechendes Modell deswegen im Unternehmen selbst erfunden werden muss.
Ein Unternehmen – mehrere Modelle
Auch das Beispiel Bosch zeigt, dass New Pay nicht nur in kleinen und mittelständischen Agenturen oder Unternehmen der Wissensarbeit realisiert werden kann. Auch große Konzerne wie die Deutsche Bahn oder Bosch stoßen diese Vorgänge zunehmend an. 2015 schaffte Bosch als zweites Unternehmen nach Infineon bei den Bonuszahlungen eine individuelle Leistungskomponente ab – und führte Team- und Unternehmensboni ein.
Das Technologieunternehmen mit knapp 400.000 Mitarbeitern testet aber auch unterschiedliche Modelle: Im Bereich Power Tools haben beispielsweise agile Teams ein eigenes Vergütungssystem entwickelt: Hier wählt das Team einen Product Owner, der mit den Teammitgliedern die Erhöhung des Grundgehalts bespricht.
Zudem gibt es zehn sogenannte Grading Groups mit hoher Durchlässigkeit – ein Wechsel zwischen den Gehaltsbändern ist also leicht möglich. Hier schätzen zwar immer noch Führungskräfte die Gehaltsentwicklung ein, aber nun haben auch die Mitarbeiter zum ersten Mal die Möglichkeit, auch eine Selbsteinschätzung einfließen zu lassen.
Tatsächlich hat sich Bosch auch mit dem Wunschgehalt-Modell der Kommunikationsagentur Wigwam beschäftigt, in einem Technologieunternehmen mit knapp 400.000 Mitarbeitern sah man aber nicht die Chance dafür. Ein anderes Experiment ging schief: Ein Team sollte in der Gruppe ihre eigenen Gehaltserhöhungen festlegen und innovative Vergütungsextras entwickeln und vergeben. Diskussionen und Konflikte kamen auf. Die gegenseitige Beurteilung in der Gruppe funktionierte nicht. Laut Arbeitspsychologe Thomas Rigotti können aber auch gescheiterte Versuche nicht hoch genug eingeschätzt werden: Einfach machen, ausprobieren und wenn es nicht funktioniert, abbrechen und etwas Neues versuchen, rät er. Der wichtigste Punkt ist laut dem Wissenschaftler: „Die Partizipation muss schon ganz zu Anfang einsetzen, wenn darüber gesprochen wird, nach welchen Regeln ein neues Modell eingeführt werden soll.“
Text: Maria Zeitler