Frauen verdienen meist weniger als Männer, sind in Gehaltsverhandlungen zurückhaltender und zeigen sich oft bescheidender. Eine Studie aus Boston zeigt: Selbst im Kindesalter gibt es beim Thema "Belohnung" geschlechtsspezifische Unterschiede. Ein Grund dafür könnte ein falsches Rollen- und Statusbewusstsein sein, so die Wissenschaftler.
Weniger Geld für die gleiche Leistung? Frauen verdienen meist nicht so viel wie ihre männlichen Kollegen. 18 Prozent weniger waren es dem Statistischen Bundesamt zufolge im Jahr 2020. Dass das ungerecht ist, weiß jedes Kind. Oder etwa nicht? Fangen die Unterschiede vielleicht schon viel früher an als wir glauben? Nämlich bereits im Kindesalter, lange bevor ein Mensch ins Berufsleben startet?
Die Forscherinnen Sophie Arnold und Katherine McAuliffe vom Boston College wollten es genau wissen. Sie sind der Frage 2021 mit einer Studie auf den Grund gegangen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer: 240 Kinder zwischen vier und neun Jahren – die eine Hälfte Jungen, die andere Hälfte Mädchen. Sophie Arnold und Katherine McAuliffe stellten den Kindern zunächst eine Aufgabe. Als Belohnung winkten Aufkleber. Allerdings gab es hier keine festgelegte Anzahl an Stickern, die die Kinder für die erfolgreich gemeisterte Aufgabe bekommen sollten. Vielmehr sollten sie selbst sagen, wie viele Aufkleber sie als Belohnung verdient hätten. Wer bescheiden war und nur einen oder zwei Sticker verlangte, bekam die Belohnung und die Studie war beendet.
Weiter ging sie mit den Kindern, die mehr als zwei Aufkleber haben wollten. Insgesamt waren dies 154 Mädchen und Jungen. Für sie hieß es: verhandeln lernen. Die Studienleiterinnen erklärten ihnen, wie man Forderungen richtig durchsetzt und dass es nicht sinnvoll ist, zu viel zu verlangen und dass eine Forderung realistisch sein muss – eben das, was auch im späteren Berufsleben bei Gehaltsverhandlungen eine wichtige Rolle spielt.
Weniger fordernd im Gespräch mit männlichen Verhandlungspartnern
Danach ging das Verhandeln weiter. Wieder gab es eine Belohnung, wieder durften die Kinder selbst verhandeln und es wurde eines deutlich: Mädchen ab einem Alter von etwa acht Jahren verlangten unter gewissen Umständen weniger als gleichaltrige Jungen. „Wir fanden heraus, dass Mädchen bei Verhandlungen mit einem Mann weniger verlangten als Jungen“, sagte McAuliffe. „Es ist nicht so, dass Mädchen insgesamt weniger verhandeln – nur wenn Kinder mit einem Mann verhandeln, sehen wir diese geschlechtsspezifischen Unterschiede.“
Mussten die Mädchen die Aufkleber also bei einem männlichen Gesprächspartner einfordern, waren ältere Mädchen zurückhaltend, während sie sich in Verhandlungen mit Frauen mutiger zeigten. Für kleinere Kinder galt dies nicht. „Jungen und Mädchen schnitten im Alter zwischen vier und sieben Jahren gleich ab“, sagte Arnold. „Unsere Studie ist die erste, die zeigt, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in Verhandlungen bereits in der Kindheit entstehen.“
Spielt der vermeintliche Status eine Rolle?
Doch weshalb zeigen sich schon bei den Kleinen so deutliche Unterschiede? Aus welchem Grund fordern Mädchen von männlichen Verhandlungspartnern weniger Belohnungssticker ein? Die Wissenschaftlerinnen vermuten, dass die Zurückhaltung älterer Mädchen in Verhandlungen mit männlichen Gesprächspartnern eine Folge des wahrgenommenen Status sozialer Gruppen sein könnte. Das bedeutet, dass Menschen, die sich einer Gruppe mit niedrigerem Status zugehörig fühlen, in diesem Fall Frauen, weniger von Menschen einfordern, die einer Gruppe mit vermeintlich höherem Status angehören, also männlich sind.
Eindeutig klären ließ sich der Grund für die Zurückhaltung der Mädchen in der Studie jedoch nicht, sodass es laut Sophie Arnold und Katherine McAuliffe weiterer Forschung bedarf. Es gilt also, schon in jungen Jahren anzusetzen, damit aus kleinen Mädchen einmal starke Verhandlungspartnerinnen der Zukunft werden, die sich nicht mit weniger zufrieden geben, sondern ihre Forderungen selbstbewusst vertreten. Auch, und gerade dann, wenn der Gesprächspartner ein Mann ist.