NEW WORK darf kein Privileg für Wissensarbeiter sein. Das findet Unternehmer und Berater Stefan Janßen – und hat kurzerhand die Initiative „Baustelle Zukunft – Neues Arbeiten im Handwerk“ gegründet. Seine Mission ist es, auch dem Handwerk zu ermöglichen, an der Weiterentwicklung der Arbeitswelt teilzuhaben. Denn durch NEW WORK könne sich das Handwerk wieder stolz auf seine ursprüngliche Arbeitsweise besinnen: Der komplexen Fertigung durch Könner in einer Manufaktur. Für diese Idee haben Janßen und sein Team im vergangenen Jahr den NEW WORK AWARD in der Kategorie NEW WORK PIONEER gewonnen. Wir haben mit ihm über das Gewinner-Konzept gesprochen.
Kannst Du Dich und Dein Projekt bitte hier noch einmal vorstellen?
Stefan Janßen: Ich selbst bin schon ein Vierteljahrhundert lang Unternehmer und habe die meiste Zeit davon ein mittelständisches Handwerksunternehmen mit 40 Mitarbeitenden geführt. Meine Richtschnur war dabei stets der gesunde Menschenverstand, so dass ich die Prinzipien Selbstbestimmung, Transparenz, Teilhabe und Sinnhaftigkeit auch schon ohne theoretisches Wissen über NEW WORK in meinem Unternehmen gelebt habe. Nachdem eine dänische Firmengruppe das Unternehmen übernommen hat, habe ich mir die Aufgabe gestellt, kleine Handwerks- und Industriebetriebe hier in meiner Region in Friesland in der Eins-zu-eins-Beratung zu stärken. Ich gebe meine Erfahrungen weiter und zeige dabei speziell meine menschen- und sinnorientierte Sichtweise auf. Der Einstieg ist oft die klassische Förder- oder Ablaufberatung. Ich helfe dabei, Förderanträge auszufüllen, an die sich meine Kundinnen und Kunden selbst kaum heranwagen. Die finanziellen oder zeitlichen Freiräume, die ich ihnen damit verschaffe, nutzen wir, um gemeinsam von außen auf das Unternehmen zu schauen. Die meisten versuchen nämlich, ein Handwerksunternehmen mit Management-Methoden zu führen, weil das viele Branchen so machen. Doch was für große Unternehmen sinnvoll ist, passt nicht für kleine Betriebe. Mein Ziel ist es, ihnen aus diesem Hamsterrad zu helfen und wieder dahin zu bringen, dass sie stolz darauf sein können, was sie als Handwerkerinnen und Handwerker leisten. Diese sinnhafte Arbeit an Einzelprojekten, quasi in einer Manufaktur, ist ja das, was schon seit vielen Jahrhunderten das Handwerk auszeichnet. Man muss sich nur wieder darauf besinnen.
Warum ist Dein Projekt so wichtig, worin liegt der Mehrwert für die Arbeitswelt?
Stefan Janßen: Zu Beginn des menschlichen Wirtschaftens hatten eigentlich alle Wirtschaftsgüter etwas Gutes. So wie eine Bäckerin ein Brot backt, indem sie Getreide genießbar macht und damit Hunger beseitigt, oder ein Optiker eine Sehschwäche behebt und damit die Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit erhöht. Dann kamen Branchen hinzu, die eigentlich erst durch die Werbung geschaffen wurden und die latenten Bedürfnisse nach Status, Gefühl, Unterhaltung oder Bequemlichkeit zu bedienen. Das macht den Großteil der modernen Arbeitswelt aus, hier muss Sinn oft konstruiert werden. Beim Handwerk ist das schon inklusive. Diese Sinnhaftigkeit wieder aufzuzeigen und den Unternehmerinnen und Unternehmern den Stolz darauf wiederzugeben, das ist der Mehrwert, den ich bieten will.
Wie misst Du den Erfolg des Projekts und den Einfluss auf die Arbeitswelt?
Stefan Janßen: Ich gehe da mit Vielen nicht konform, die versuchen, irgendwelche Skalen für den Erfolg von NEW WORK zu kreieren. Wenn wir sagen, wir wollen dafür die alten Parameter aufgreifen, dann wäre das so, als ob man ein Fußballspiel nach Handballregeln bewertet. Der Erfolg, den ich tatsächlich sehe im ersten Schritt ist, dass meine Kundinnen und Kunden aufrechter im Geiste sind und auch in ihrer körperlichen Haltung, dass alle offener und ehrlicher miteinander umgehen und dann daraus sekundär wirtschaftliche Erfolge erwachsen. Aber ich finde es schwierig, so etwas bemessen zu müssen. Da wären wir wieder beim alten Stil, der ja für NEW WORK gerade nicht gelten soll. Im Gegenteil, es geht um Selbstreflexion und Ermächtigung, nicht um Kommandieren und Kontrollieren.
Welche Hürden gab es bei der Einführung und Umsetzung der Idee?
Stefan Janßen: Ich habe schnell gemerkt, dass viele Unternehmerinnen und Unternehmer ganz schwer aus ihren vorgefertigten Rollen herauskommen. Sie glauben, tough sein zu müssen, keine Schwächen zeigen zu dürfen und verpflichtet zu sein, mit entsprechenden Statussymbolen aufzuwarten. Ihnen zu sagen: "Das müsst ihr nicht" und dafür überhaupt Akzeptanz zu finden, das war eigentlich und ist immer noch das Schwierigste. Bei der Aufgabe, diesen Knoten zu lösen, hat mir der Blick durch die Brille der Systemtheorie geholfen. Viele Firmeninhaberinnen und Firmeninhaber glauben, sie sind das Unternehmen und müssen es nach außen hin darstellen. Dabei sind sie doch Menschen mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen. Wenn sie das begreifen und ihre Maske abnehmen, wenn ich also schließlich einer Person gegenüberstehe und nicht einer Rolle, dann habe ich es geschafft, zu ihnen vorzudringen. Das Wichtigste ist, dass meine Kundinnen und Kunden ehrlich in den Spiegel schauen und sich fragen: „Mache ich eigentlich das, wofür ich mal meinen Meistertitel erworben habe oder mache ich inzwischen etwas, nur um anderen zu gefallen?“
Was bedeutet NEW WORK für Dich?
Stefan Janßen: NEW WORK hat ja eigentlich zwei Definitionen und mit der einen bin ich nicht so zufrieden. Wenn man die Digitalisierung und damit verknüpft neue Arbeitsmethoden so bezeichnet, sind das für mich nur Werkzeuge, aber nicht die Neue Arbeit. Dann schon eher das, was Frithjof Bergmann ursprünglich meinte, als er den Begriff eingeführt hat: Zurück zum Sinn unseres Handelns zu kommen. Wie in den Beispielen, die ich vorhin aufgeführt habe. Wenn eine Bäckerin Brot backt, macht sie etwas Sinnvolles und Erfüllendes. Dann arbeitet sie das, was sie wirklich möchte – aber nicht, wenn sie irgendwelche Formulare für irgendwelche Behörden ausfüllt. NEW WORK ist für mich tatsächlich, wieder dahin zu kommen, dass wir sinnvoll gemeinsam als Menschen tätig sind.
Wie bist du auf den NEW WORK AWARD aufmerksam geworden und was bedeutet die Auszeichnung für dich?
Stefan Janßen: Ich selbst war bisher bei jeder NEW WORK EXPERIENCE. Dort habe ich auch Frithjof Bergmann persönlich erlebt. Das war ein erhebender Moment, diesen über 80-jährigen Mann zu sehen, dessen Augen strahlten wie die eines Kindes. Da wusste ich, diese Sinnhaftigkeit möchte ich selbst auch spüren. Auf den Experiences wurden jeweils die Preise für die einzelnen Kategorien verliehen und ich habe immer zu diesen Personen aufgeschaut, die ausgezeichnet wurden. Schließlich habe ich gedacht, ich bewerbe mich jetzt einfach und schau mal, ob das, was ich mache, auch auf Resonanz stößt. Meiner Auszeichnung will ich Rechnung tragen, indem ich einen Schritt weiter gehe und meine Beratung nicht mehr nur eins-zu-eins anbiete, sondern mich breiter aufstellen werde.
Was sind Deine nächsten Schritte?
Stefan Janßen: Ich bin dabei, mein erstes Buch in Form eines Handwerkerromans zu schreiben. Die meiste Literatur aus dem Bereich NEW WORK ist in Form von Sachbüchern für Wissensarbeiter verfasst. Das spricht nicht meine Gesellschaftsgruppe an, mit der ich zusammenarbeite. Also versuche ich das Thema in Romanform zu fassen, indem ich eine Betriebsübergabe darstelle. Der alte Unternehmer bekommt einen Herzinfarkt, weil er stets bis zur Erschöpfung gearbeitet hat. Sein Meister übernimmt den Betrieb, möchte alles besser machen und geht den Weg der maximalen Digitalisierung und ganz neuer Arbeitsmethoden. Das trifft allerdings auf wenig Gegenliebe in der eigenen Belegschaft. Schließlich begegnet er einem anderen Unternehmer, der auch neu denkt, aber das Unternehmen von der Sinnhaftigkeit und vom Menschen aus betrachtet. Über den Austausch mit ihm kommt er schließlich selbst zum Erfolg.
Deine 3 Top-Tipps für alle, die die Arbeitswelt von morgen mitgestalten möchten?
1) Nimm ein weißes Blatt Papier und stelle Dir die Frage: Warum habe ich damals den Beruf meiner Wahl ergriffen? Liste fünf bis zehn Punkte auf. Dann prüfe den Erfüllungsgrad und formuliere die Hindernisse. Welches Verhalten brauche ich, um die Hindernisse aus dem Weg zu räumen?
2) Wir verhalten uns stets kontextbezogen. Oft nehmen wir dabei aber eine negative Stimmung aus einer Situation in die nächste mit. Mach daher eine kleine Übung: Atme vor einer neuen Begegnung mit Menschen drei Mal tief durch. Das kannst Du zum Beispiel beim Gang durch einen Türrahmen zum Ritual machen, um dann gelöst in den neuen Kontext zu kommen.
3) Betrachte Dein Unternehmen durch die Brille der Systemtheorie als Brettspiel. Welche Spielregeln gibt es? Was sind die Bestandteile des Spiels? Die Spielfiguren stellen die Kommunikation im Unternehmen dar: Was ist anschlussfähig und bringt die Figuren voran, wodurch werden sie zurückgeworfen? Die Spieler – nicht die Spielfiguren – sind die Menschen im Unternehmen. Wodurch können sie das Spiel erfolgreich spielen, welche Regeln hindern sie am Weiterkommen?
*Der NEW WORK AWARD geht in die nächste Runde - ab sofort sind Bewerbungen in den Kategorien NEW WORKER:IN, NEW WORK TEAMS und ZUKUNFTSWÜRFE möglich. Zusätzlich wird zum ersten Mal der NEW WORK PUBLIKUMSAWARD vergeben, in Kooperation mit der Plattform story.one auf der ganz persönliche NEW WORK-Geschichten veröffentlicht werden können.
Alle Infos und Bewerbungsmöglichkeiten zum NEW WORK AWARD 2021 gibt es auf dieser Sonderseite