Ein Jahr Corona, ein Jahr Videocalls, Shutdown, Homeoffice, Homeschooling. Was passiert mit der Unternehmenskultur, wenn der direkte Draht zwischen Chef und Mitarbeiter wegbricht und Existenzangst Werte in den Hintergrund treten lässt? Wer jetzt den Fokus auf die Unternehmenskultur legt, verwandelt die Krise in die Chance zum Change, meint NWX Magazin-Autorin Maria Zeitler
Der Cyber-Schlampazius ist eines der Erfolgsrezepte. Das Software-Unternehmen K15t aus Stuttgart hat ihn in Anlehnung an den Namen der Stammkneipe eingeführt, in der man sich vor der Pandemie auf das ein oder andere After-Work-Bier getroffen hat. Nun also Cyber-Kneipe mit Bier vor dem Bildschirm. Und: Vorher saßen alle zusammen im Büro: „Die Art der Zusammenarbeit, wie wir sie kannten, musste sich ändern“, sagt Gabriella Evans, Product Marketing Manager. Team-Spirit, Werte, Zusammenhalt, enger Austausch: All das ist beim Wechsel in den Home-Office-Modus nicht verloren gegangen, im Gegenteil.
Die üblichen Strategien reichen nicht mehr
Hat sich die Kultur des Unternehmens also durch Corona gewandelt? Das würde Robert Sedlák nicht unbedingt so sagen. Er führt die systemische Unternehmensberatung „Sedlák & Partner“, und berät nicht zuletzt zum Thema Kultur: „Corona selbst wird eine Unternehmenskultur nicht unmittelbar verändern. Es ist vielmehr so, dass Corona ein Auslöser sein kann, dass sie auf den Prüfstand gestellt wird.“ Corona als eine Art Schnelltest für die Qualität der Unternehmenskultur. „In einer Ausnahmesituation wie dieser treten mitunter andere Facetten der bestehenden Unternehmenskultur in den Mittelpunkt als sonst. Zum Beispiel: Wie reagieren Mitarbeiter auf unvorhergesehene Problemstellungen, bei denen die üblichen Strategien als Lösung nicht mehr reichen?“, so Sedlák. Unter dem auch wirtschaftlichen Druck der Pandemie kann sich schneller als sonst herausstellen, ob Entscheidungen von allen mitgetragen werden und ob Werte tatsächlich gelebt werden.
Ist schon eine Unternehmenskultur vorhanden, in der Werte stark verankert sind, wo Führung und Mitarbeiter in engem und ehrlichem Austausch stehen, Vertrauen herrscht, Veränderungsbereitschaft und auch eine Fehlerkultur, fällt das Umgehen mit der Pandemie-Situation leichter: Dann konnten die neuen Maßnahmen einfacher, schneller und erfolgreicher umgesetzt werden. Doch es gibt auch andere Fälle, in denen Corona gezeigt hat, dass es um die Unternehmenskultur nicht gut bestellt ist: „Da betreibt das Management enormen Aufwand, um neue Maßnahmen einzuführen, und wundert sich, warum diese nicht greifen. Der Grund dafür ist oft: Der eingesetzte Hebel berücksichtigt die bestehende Unternehmenskultur nicht“, sagt Sedlák. Konkret ist dann meist das Problem, dass es dem Management nicht gelungen ist, alle mitzunehmen. Wenn 20 Prozent nicht verstehen, wie wichtig die Maßnahmen sind, darf man sie nicht abschreiben, sondern muss überlegen, auf welcher Ebene man sie abholen kann.
Corona verstärkt Zufriedenheit – und Unmut
Entsprechend haben die Mitarbeiter selbst auch ein gemischtes Bild, wie es in ihrem Unternehmen in der Krise mit der Kultur aussieht. Bei einer XING Umfrage unter 1.573 aktiven Mitgliedern zeigte sich: Knapp ein Drittel der deutschen Mitglieder fühlt sich mit seinem Arbeitgeber weniger verbunden. Rund 22 Prozent gaben an, sich mit ihrem Arbeitgeber stärker verbunden zu fühlen. Ein Drittel der Befragten sagt, die Unternehmenskultur hat sich tendenziell verschlechtert, ein anderes knappes Drittel sieht das genau gegenteilig und gibt an, die Kultur im Unternehmen hat sich verbessert. „Die Pandemie ist ein Katalysator für Entwicklungen und das wird auch bei der Unternehmenskultur deutlich. Bei einer grundsätzlichen Zufriedenheit und einem guten Krisenmanagement der Unternehmen wird auch das Zugehörigkeitsgefühl gestärkt. Hingegen zeigt sich bei einer bereits latent vorhandenen Unzufriedenheit der Arbeitnehmenden auch der Unmut in Corona-Zeiten viel deutlicher“, sagt Sabrina Zeplin, Geschäftsführerin von XING
Was also tun, wenn sich durch Corona herausstellt: Mit der Unternehmenskultur liegt etwas im Argen. Die Schwierigkeit: „Unternehmenskultur entwickelt sich grundsätzlich zufällig und eigenständig. Da Unternehmenskultur nicht einfach ‚entschieden‘ werden kann, kann das Management sie auch nicht instruktiv, also per Anordnung, ändern. Sie lässt sich jedoch durch Interventionen indirekt beeinflussen.“ Dazu kann gehören, der Führung Impulse zu geben oder Bestehendes zu hinterfragen. Aber auch, das Kommunikationsverhalten zu ändern, Entscheidungsprozesse zu hinterfragen und zu checken, ob Werte wie die Einbindung der Mitarbeiter tatsächlich gelebt werden.
„Fernbeziehung“ zwischen Chef und Mitarbeiter
Die Führungspersönlichkeiten sind dabei der Schlüssel zum Erfolg, denn sie müssen die Werte vorleben: „Die Kernaufgaben von Führungskräften verändern sich während einer Pandemie nicht. Die Pandemie fördert jedoch zutage, wer diesen Aufgaben auch in Ausnahmesituationen gewachsen ist“, sagt Robert Sedlák. Die Herausforderungen, die das remote work an sie stellt, sind groß, sagt auch Johanna Barth, Pressesprecherin Personal und Organisation bei Audi: „Kommunikation ist essenziell. Führungskräfte sind in dieser außergewöhnlichen Situation mehr denn je gefragt. Sie müssen klare Ziele setzen, Orientierung geben und die Beziehung auf Distanz pflegen. Das bedeutet: Führen aus der Ferne – und Basis dafür ist einmal mehr Vertrauen.“ Weil die „Fernbeziehung“ zwischen Chef und Mitarbeiter klappen soll, bietet Audi Führungskräften Schulungen rund um das Thema Führen auf Distanz an – und weil remote länger bleiben wird als Corona.
Die Unternehmenskultur kommt ins Home-Office
„Unternehmenskultur verändert sich nicht allein durch die Pandemie. Aber die Pandemie nimmt dahingehend Einfluss, indem Fragen gestellt werden, die vorher nicht gestellt wurden bzw. tabuisiert waren“, sagt Sedlák. Beim Stuttgarter Software-Unternehmen K15t hat man sich die Frage gestellt, wie man möglichst viel von der DNA des Unternehmens in den digitalen Raum verlegen kann: Neben dem After-Work-Bier wurde der alljährliche 24-Stunden-Hackathon „Hacketse“ remote durchgeführt, inklusive Pizza-Lieferung nachhause. Und auch ein Überraschungs-Care-Paket erreichte die Mitarbeiter: „Das war eine wunderbare Möglichkeit, ein bisschen ‚K15t-Spirit‘ ins Home-Office zu bringen“, schreibt Gabriella Evans in einem Blogbeitrag. Dem Unternehmen ist es durch die Krise sogar gelungen, ein paar Mitarbeiter noch stärker ins Boot zu holen: Und zwar die, die schon immer aus dem Home Office arbeiteten. „Sie fühlen sich noch besser integriert und informiert als zuvor, denn sowohl im Team als auch teamübergreifend werden Informationen nun immer digital geteilt“, sagt Evans.
Text: Maria Zeitler