Haben die New Leadership-Gedanken der New Work-Bewegung wie Hierarchieabbau, Partizipation und Transparenz in der Krise ausgedient? Nein, sagt Wirtschaftspsychologe Carsten C. Schermuly und zeigt, warum gerade in Krisenzeiten ein aufgeklärter und verantwortungsvoller Umgang mit Führung so wichtig ist.
In seinem neuen Sachbuch „Die Psychologie der Macht“ erklärt der Wirtschaftspsychologe und Organisationsberater aus wissenschaftlicher Sicht, welche Faktoren zu Macht verhelfen. (Spoiler: Größe, Attraktivität oder Testosteronspiegel haben weniger Einfluss als oft angenommen und extrovertiertes Verhalten ist nicht immer von Vorteil.) Das Buch sei keine psychologische Gebrauchsanweisung, um andere zu manipulieren und Macht über sie zu gewinnen, betont Schermuly. Vielmehr möchte er aufzeigen, was Macht - auch gerade in Führungspositionen der Arbeitswelt - mit uns macht.
Anhand von Studien und Fallbeispielen erläutert er die psychologischen und physiologischen Prozesse, die Macht in uns auslöst. Anschließend zeigt der Autor auf, wie ein sensibler und verantwortungsvoller Umgang mit Macht gelingen kann – ein hochaktuelles Thema gerade in Krisenzeiten. „Offenbar wollen immer mehr Menschen immer mehr Macht an immer weniger Menschen übertragen“, schreibt Schermuly im Hinblick auf die Weltpolitik. Dabei sei gerade das Gegenteil gefragt: „Um die vielen komplexen Herausforderungen zu lösen, müssen viele verschiedene Menschen ihr Wissen, ihre Kraft und ihre Fähigkeiten zusammenlegen.“ Wer Macht an autoritäre Führungspersönlichkeiten abgibt, bekommt sie nur schwer wieder zurück.
Vier wichtige Fragen und Antworten für Führungskräfte aus dem Schermuly-Buch:
Ja, die Gefahr besteht, zumindest, wenn Sie sich nicht regelmäßig hinterfragen. Macht kann wie ein Droge wirken, da sie ähnliche Hirnareale und Hirnprozesse aktiviert, sagt Carsten C. Schermuly. Deshalb fällt es oft schwer, Macht wieder abzugeben oder mit anderen zu teilen. Zudem verändert sie unser Denken, Erleben und Verhalten – leider oft zum Nachteil. Sie verstärkt impulsives Verhalten und reduziert Empathie und Mitgefühl. „Macht ist eine Charakterprobe, die Sie nur bestehen, wenn Sie bemerken, was Macht mit Ihnen macht oder bereits gemacht hat“, so Schermuly – nicht nur beruflich, sondern auch im privaten Umfeld.
Nein, dabei handelt es sich um mediale Stereotype, die sich wissenschaftlich nicht belegen lassen, sagt Schermuly. Allerdings ergibt sich auch kein umgekehrter Zusammenhang, wonach beispielsweise eiskalte Psychopaten oder testosterongesteuerte Draufgänger in Unternehmen schlechtere Karrierechancen hätten als andere. Um Führungspositionen optimal zu besetzen, rät Schermuly zu validen Diagnose-Methoden wie strukturierten Interviews, Arbeitsproben oder Simulationen.
Flache Hierarchien sollen sicherstellen, dass Entscheidungen jeweils dort getroffen werden, wo die Kompetenz dafür am größten ist und nicht die formelle Macht. Allerdings erfordern sie sehr viel Abstimmung und stellen oft hohe Anforderungen an die verbliebenen Führungskräfte. Damit sich die Stärken von New Work wie sinnhaftes Arbeiten, Innovationskraft und Eigenverantwortung optimal entfalten können, sollten Unternehmen nicht nur ihre Strukturen, sondern auch die Arbeitskultur im Blick haben, rät der Organisationsberater. Andernfalls könnten auch in flachen Hierarchien aggressive und autoritäre Werte das Verhalten bestimmen.
Schermuly beschreibt kulturelle und strukturelle Ansätze wie empowermentorientierte Führung und verteilte Machtstrukturen. Vor jeder Intervention steht für den Psychologen jedoch die Diagnostik. Er empfiehlt, neben den formellen auch die wahrgenommenen Machtverhältnisse im Unternehmen anhand einer gemeinsam erarbeiteten Machtlandkarte sichtbar zu machen. Auf dieser Basis sei gezielte Organisationsentwicklung ohne unvorhergesehene Nebenwirkungen möglich. „Macht ist dann nicht mehr dieser Elefant im Raum, den jeder kennt, aber bei dem niemand weiß, wie man damit umgeht“, sagt er.
Text: KvE
Der Autor: Prof. Dr. Carsten C. Schermuly ist Diplom-Psychologe, Professor für Wirtschaftspsychologie und geschäftsführender Direktor des Instituts for New Work and Coaching (INWOC) an der SRH Berlin University of Applied Sciences. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Themen Empowerment, New Work und Coaching.
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