Frauen in Führungspositionen leisten Entwicklungshilfe für Frauen mit Führungspotenzial – das Programm CrossMentoring OWL verbessert weibliche Karrierechancen und schafft Führungskräfte für die Unternehmen in der Region. NWX Magazin-Autorin Kirstin von Elm hat sich das erfolgreiche Programm angeschaut.
Weiblich, vielversprechend und bei einem Unternehmen in Ostwestfalen Lippe (OWL) beschäftigt – diese drei Kriterien müssen Nachwuchsführungskräfte erfüllen, um bei „CrossMentoring OWL“ aufgenommen zu werden. Das Programm für Frauen zielt darauf ab, weibliche Führungskarrieren in der regionalen Wirtschaft zu fördern. Der erste Jahrgang ging 2006 an den Start. Inzwischen haben fast 400 Frauentandems aus mehr als 160 Unternehmen daran teilgenommen. Die Firmen stellen ihre Führungskräfte als Mentorinnen frei und sind Gastgeber für Veranstaltungen des Programms. Und inzwischen ist es nicht mehr nur ein Jahrgang, der pro Jahr an den Start geht: Seit 2023 gibt es zwei Jahrgänge und somit 60 neue Mentees.
Mentees sollen einen Studienabschluss oder eine vergleichbare Qualifikation und erste Fach- oder Führungserfahrung mitbringen, eine offizielle Altersgrenze gibt es nicht mehr. Programmleiterin Anja Schulte hat sie gestrichen, was gerade Müttern oft entgegenkommt. Am Geschlecht als Aufnahmekriterium hält die führungs- und mittelstandserfahrene Geschäftsführerin von CrossMentoring OWL jedoch fest. Notgedrungen, wie sie betont: „Mentoring ist zwar absolut sinnvoll für jede angehende Führungskraft, aber in früheren Programmen haben die Unternehmen nur Männer geschickt,“ sagt die Psychologin, die selbst ein mittelständisches Unternehmen geleitet hat und heute Unternehmen und Führungskräfte berät.
Männer würden allgemein selbstbewusster auftreten und wären im Unternehmen nach wie vor sichtbarer, so Schulte – erst recht in einer von mittelständischen Produktionsbetrieben geprägten Region wie Ostwestfalen Lippe. Hier werden Küchengeräte und Landmaschinen produziert, Puddingpulver und Parkettböden, Kaffeefilter und Babynahrung, Würste oder Fensterrahmen. Die Teilnehmerinnen des Mentoringprogramms arbeiten bei Unternehmen wie Claas, Dr. Oetker, Hipp, Melitta, Miele, Tönnies oder Schüco, aber auch bei weniger bekannten „Local Heros“ wie die Heil- und Mineralquellen Germete, Ottemeier Werkzeug- und Maschinentechnik oder den MeisterWerken Schulte. Das Unternehmen wurde 1930 von Anja Schultes Großvater gegründet und stellt Parkett und andere harte Bodenbeläge her.
Hartnäckige Rollenbilder
Ähnlich langlebig wie hochwertige Parkettböden seien leider auch stereotype Rollenbilder – selbst in einer Unternehmerfamilie, weiß Anja Schulte aus eigener Erfahrung. Als sie 1994 nach dem BWL-Studium ins Familienunternehmen einsteigen will, bietet ihr Vater ihr eine Stelle als persönliche Assistentin an. Für sie ein prägendes Aha-Erlebnis in Sachen Gleichstellung und Frauenbild: „Ich habe zwei Brüder, die ebenfalls im Unternehmen arbeiten. Mein Vater wäre nie auf die Idee gekommen, dass einer von ihnen sein Sekretär werden möchte“, sagt sie.
Auch wenn diese Episode inzwischen 30 Jahre zurückliegt und Anja Schulte als geschäftsführende Gesellschafterin an die Spitze des väterlichen Produktionsbetriebs aufgestiegen ist, kämen junge Frauen mit ähnlichen Themen in das Mentoring-Programm: Gesehen und respektiert werden, Anerkennung für gute Leistung einfordern, auch mal Nein sagen, lauten typische Herausforderungen für ihre Mentees so Schulte.
Raus aus der Komfortzone
Maximal 30 Frauen pro Jahr erhalten die Chance, gemeinsam mit ihrer Mentorin ein Jahr lang regelmäßig an ihren persönlichen Zielen zu arbeiten. Julia Fuchs ist eine von ihnen: „Das Mentoringprogramm soll einen aus der Komfortzone holen, das ist nach einem langen Arbeitstag manchmal anstrengend. Aber wenn man sich nicht darauf einlässt, bringt es auch nichts“, sagt die 32-jährige Steuerberaterin, die bei einer großen Kanzlei in Bielefeld arbeitet. 2023 hat sie an dem Programm teilgenommen und dabei zum Beispiel gelernt, sich Freiräume zu schaffen und Konflikte im Team ohne Hilfe von oben zu lösen.
Innerhalb der Kanzlei hat Julia Fuchs die fachliche Leitung für die Abteilung Lohn- und Finanzbuchhaltung sowie den Bereich Compliance übernommen und koordiniert rund 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von denen viele zuvor ihre unmittelbaren Kollegen waren. Andere Teammitglieder hat sie dagegen neu eingestellt. Die Herausforderung hierbei ist, die Aufgaben von verschiedenen Partnern effizient auf das Personal zu verteilen. Die junge Teamleiterin sitzt quasi zwischen den Stühlen und muss ohne formale Weisungsbefugnis enge Deadlines und hohe Workloads jonglieren. „Dabei knirscht es schonmal“, sagt sie. Mit ihrer Mentorin hat sie deshalb erfolgreich Konfliktgespräche geübt und kann jetzt gezielter eigenständig agieren.
„Durch das CrossMentoring-Programm bin ich so sichtbar im Unternehmen geworden bin, dass ich von der Projektleiterin zur Managerin befördert wurde, ohne mich aktiv darum zu bewerben“, sagt Julia Fuchs – ein schöner Erfolg auch für ihre Mentorin Sabine Brockschnieder. Als Geschäftsführerin eines Küchenherstellers mit 1.200 Beschäftigten hat die Juristin einen vollen Arbeitstag, trotzdem engagiert sie sich regelmäßig als Mentorin. Eine Führungskarriere sei immer mit Höhen und Tiefen verbunden, sagt sie: „Ich finde es wichtig, junge Frauen an den eigenen Erfahrungen teilhabenzulassen und ihnen ein guter Sparringspartner zu sein.“
Passgenaues Matching
Mentee und Mentorin kommen beim CrossMentoring aus unterschiedlichen Unternehmen. Die Zusammenstellung der Tandems erfolgt deshalb anhand eines umfangreichen Portraitbogens gefolgt von einem persönlichen Interview. Hat Anja Schulte ein passendes Paar gefunden, lernen sich die Frauen bei einem Auftaktgespräch kennen. Das sorgfältige Matching sei jedes Mal eine Herausforderung, aber auch der zentrale Erfolgsfaktor des Programms, sagt Schulte.
Von ihren Mentorinnen erwartet Anja Schulte neben umfassender Führungserfahrung, vor allem Emphatie und Einfühlungsvermögen: „Die lauteste oder extrovertierteste weibliche Führungskraft ist nicht immer die beste Mentorin“, sagt sie. Da die Mentorin anders als bei einem internen Programm beim CrossMentoring keinen direkten Einblick in das Unternehmen ihrer Mentee hat, darf sie ihre Mentee auch vor Ort treffen und Unterstützung geben. Alle Mentorinnen engagieren sich ehrenamtlich, viele sind wie Sabine Brockschnieder mehr als einmal dabei. Nicht nur die Mentees wüchsen durch die Teilnahme, beobachtet Anja Schulte. Auch die Mentorinnen könnten so ihre Führungs- und Coachingkompetenzen stärken, bekämen Einblick in die Gedankenwelt der nächsten Generation und Gelegenheit, den eigenen Werdegang und Führungsstil zu reflektieren.
Und sie helfen, die berufliche Chancengleichheit voranzubringen und den Frauenanteil in Führungspositionen aktiv zu fördern. Zu Beginn des Programms fragt Anja Schulte die neuen Mentees, ob sie Karrierenachteile aufgrund ihres Geschlechts sehen oder sogar selbst erlebt haben. Leider würden fast alle die Frage bejahen. CrossMentoring OWL wird deshalb wohl noch eine ganze Weile ein Programm exklusiv für Frauen bleiben, glaubt Anja Schulte: „Mein Auftrag ist erfüllt, wenn 30 Mentees Nein sagen.“
Text: Kirstin von Elm
*Cross Mentoring OWL ist ein 12-monatiges Crossmentoring Programm in Ostwestfalen-Lippe exklusiv für Frauen mit dem Ziel, weibliche Nachwuchsführungskräfte in der Region zu fördern. Mentee und Mentorin stammen dabei aus unterschiedlichen Unternehmen.
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