25 Jahre lang war er Top-Manager bei einem der weltweit größen Medienunternehmen, heute macht er Stand-up Comedy auf dem Kiez und coacht Führungskräfte. Im Gespräch mit NWX Magazin-Autorin Kirstin von Elm erzählt André Freiheit aus Hamburg vom wichtigsten Change Projekt seines Lebens.
Erfolgreicher Manager, Anfang 50, verliert im Zuge einer Fusion sein Aufgabengebiet, nimmt sich eine berufliche Auszeit und beschließt, fortan als Mentor und Coach weiterzumachen - bis hierhin klingt die Geschichte von André Freiheit* nicht besonders ungewöhnlich. Dass gestandene Führungskräfte der Corporate World nach 20 oder 30 Jahren mal mehr, mal weniger freiwillig den Rücken kehren, ist heutzutage keine Seltenheit.
Dass gestandene Führungskräfte sich - so wie André - in einem Kiez-Club auf die Bühne stellen und versuchen, wildfremde Menschen zum Lachen zu bringen, ist allerdings die Ausnahme. Der 52-jährige Ex-Konzernmanager ist in seinem zweiten Berufsleben nämlich nicht nur Coach, sondern auch Comedian. Zwei bis dreimal pro Woche tritt er in Hamburg auf, zum Beispiel im Reeperbahn Comedy Club, im St. Pauli Klubhaus oder auf der Großen Freiheit.
André macht Stand-up Comedy, das bedeutet: Ein Mann, ein Mikrofon. Einen Künstlernamen oder eine Bühnenpersönlichkeit hat er nicht. Privat und auf der Bühne ist er einfach nur André. Im Alltagsoutfit - Jeans und T-Shirt, Brille, Seitenscheitel - steht er allein vor dem Publikum und philosophiert über die Rätsel des Alltags: Warum können Ehefrauen, die Spülmaschine nicht richtig einräumen? Warum benutzen Teenager ihr Telefon nur für WhatsApp-Sprachnachrichten? Warum bleiben Väter bis ins hohe Alter unverbesserlich? Wenn die Lacher ausbleiben, fühlen sich wenige Minuten endlos an. Keine Chance, sich zu verstecken, niemand, der einen aus der peinlichen Lage rettet. Warum tut sich ein erfolgsverwöhnter Ex-Manager so etwas an?
„Ich brauche ein Ventil für meine Kreativität und ich brauche manchmal die Herausforderung von etwas ganz Neuem, von dem ich noch nicht genau weiß, wie es funktioniert. Eintönigkeit kann ich nicht gut ab.“
Tatsächlich zieht sich das Bedürfnis nach kreativer Freiheit wie ein roter Faden durch Andrés Karriere. Schon während der Schulzeit in München dreht er mit seinen Freunden Sketche und weiß: Er will in die Werbung. Statt für die Filmhochschule entscheidet er sich 1993 jedoch erstmal für ein BWL-Studium an der WHU Otto Beisheim School of Management. Vom Campus weg engagiert ihn 1997 die Bertelsmann-Tochter Gruner + Jahr, wo er vom Trainee bis zum Leiter des internationalen Werbekundengeschäfts aufsteigt. Eine Bilderbuchkarriere - doch wieviel Kreativität passt eigentlich in starre Konzernstrukturen?
„Ich konnte viele Jahre lang wie ein Unternehmer im Unternehmen arbeiten. Mein Bereich war klein genug, dass man mich hat machen lassen und zugleich groß genug, dass ich eine Menge bewegen konnte. Sonst wäre ich wohl nie so lange geblieben.“
Bei Gruner + Jahr erlebt und gestaltet André den Umbruch der Medienbranche an vorderster Front mit. Aus einer Verkaufsabteilung für Print-Anzeigen wird unter seiner Regie ein internationales Vermarktungsnetzwerk rund 70 internationaler Medienunternehmen, mit überwiegend digitalen Werbeformaten. Nicht nur bei seinen Kunden, sondern auch bei den Mitarbeitenden kommt Andrés offene, humorvolle Art als Führungskraft gut an: Auch sie hilft dabei, den permanenten Wandel des Unternehmens mit seinen vielen Veränderungen durch Digitalisierung, Internationalisierung, Übernahmen und Firmenverkäufen zu bewältigen.
Die letzte große Veränderung die André als Top-Manager bei Gruner + Jahr begleitet, ist die Übernahme des Verlages durch RTL ab 2021. Rund ein Jahr lang hilft er, seinen Bereich in die neue Konzernstruktur zu integrieren, dann gibt es für ihn nichts Spannendes mehr zu tun. Nach fast 25 kräftezehrenden Jahren weiß er zunächst nur, was er nicht mehr will - einfach einen anderen Managementposten. Er verhandelt seinen Ausstieg und gönnt sich etwas Zeit zum Auftanken. Mit einem Coach wandert er um die dänische Insel Bornholm - und findet dabei sein neues Ziel.
"Meine Erziehung und meine Arbeit als Manager hatten mein bisheriges Bild von Erfolg geprägt: Einfluss, Geld, Ansehen. Die Woche Wandern hat mir geholfen, dieses Bild zu hinterfragen und den Mut zu finden, den Schritt in die Comedy und in die Ungewissheit zu wagen. Aber es war nicht leicht, mich für meinen Herzenswunsch und gegen meine gewohnten Überzeugungen zu entscheiden."
2023 besucht er sechs Monate lang die Hamburger Schule für Comedy und tritt erstmals in Clubs auf. Kein Problem, für jemanden, der als Manager für spontane Gesangseinlagen und lustige Vorträge bekannt war - oder?
"Ich habe als Manager durch Meetings und internationale Tagungen geführt und war immer ganz unterhaltsam. Allerdings hat niemand von mir erwartet, dass ich pausenlos Gags abfeuere. Bei meinem ersten Auftritt als Comedian war ich unglaublich aufgeregt und auch viel zu schnell.“
Um Ruhe und Sicherheit auf der Bühne bekommen, hilft nur eines: Üben, üben, üben. Wie die meisten Nachwuchstalente hat André für die perfekte Performance in den letzten zwei Jahren bei sogenannten Open Mics trainiert - unbezahlte Auftritte, bei denen verschiedene Comedians jeweils sechs bis acht Minuten Zeit haben, ihre Gags live vor Publikum zu testen. Inzwischen kassiert er zwar auch schon kleinere Gagen, doch wirklich lukrativ wird das Bühnenleben erst, wenn man bekannt genug ist, um zu zweit oder allein den ganzen Abend zu bestreiten. Ein Punkt, den viele Comedians niemals erreichen. Kehrt der Familienvater dem ungewissen Künstlerdasein vielleicht schon bald wieder den Rücken?
„Jeder Neustart braucht Zeit. Ich will mir einen Namen als Comedian machen und ernsthaft Geld damit verdienen. Das wirkt vielleicht etwas naiv, aber ich habe im Laufe meiner Karriere schon oft Ideen erfolgreich in die Tat umgesetzt, an denen andere anfangs gezweifelt haben.“
Eine faire Aufhebungsvereinbarung und die gut laufende Steuerberatungskanzlei seiner Frau verschaffen Familie Freiheit finanziell ausreichend Freiheit für eine längere Anlaufphase. Im Gegensatz zu vielen anderen Künstlerkollegen geht der Ex-Manager seine zweite Karriere ähnlich planvoll und zielstrebig an, wie seine Konzernprojekte. Die Kombination aus langjähriger Führungserfahrung im internationalen Konzernumfeld und seinem Talent, die Perspektive zu wechseln und Menschen zum Lachen zu bringen, sieht André als persönlichen Wettbewerbsvorteil, den er gezielt nutzen will, um schon bald wieder einen substanziellen Beitrag zum Familieneinkommen zu leisten.
Seit knapp einem Jahr engagiert er sich beim Hamburger Scharlatan Theater, das maßgeschneiderte Theaterstücke, Rollenspiele, Teambuilding-Events und Trainings für Unternehmen und Führungskräfte anbietet. Als freier Coach und Mentor gibt André sein Wissen aus beiden Welten seit einigen Monaten außerdem Eins zu Eins an andere Führungskräfte weiter. Lachen für Leader als Geschäftsmodell?
„Lachen löst bekanntlich Spannungen und wenn man gemeinsam gelacht hat, kann man ernste Themen oft besser und gelöster bearbeiten. Trotzdem biete ich keine Lach-Workshops an oder versuche als Coach besonders komisch zu sein. Ich habe als Führungskraft 25 Jahre lang viele Change Prozesse begleitet nicht zuletzt den persönlichen Übergang vom geregelten Konzernleben ins freie Künstlerleben. Diese Erfahrungen gebe ich jetzt weiter.“
Text: Kirstin von Elm
* Zur Person: André Freiheit ist gebürtiger Münchner und lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen seit 25 Jahren in Hamburg. Wer ihn live auf der Bühne erleben oder als Moderator oder Speaker für ein Firmenevent buchen möchte, findet Termine und Kontaktdaten auf seiner Website. Sein Angebot als Coach und Mentor beschreibt er unter https://leadership-mentor.eu/