Im Jahr 2019 gewann Dalia Das mit ihrem Projekt "neue fische" den NEW WORK AWARD*. Mehr als 250 motivierte und talentierte Menschen – darunter fast 50 Prozent Frauen – , die ihre Bildung eigeninitiativ in die Hand nehmen, hat die neue fische GmbH seit Gründung in 2018 ausgebildet, rund 90 Prozent steigen in digitale Berufe ein. Inzwischen hat das Team das Angebot nach Köln und München ausgeweitet – und wurde im vergangenen Jahr erneut dem NEW WORK AWARD ausgezeichnet, dieses Mal belegte sie den dritten Platz in der Kategorie NEW WORK ALUMNI. Wir haben mit ihr über das Projekt und ihre Erfahrungen mit dem Preis gesprochen.
Kannst Du bitte kurz das Projekt vorstellen?
Dalia Das: neue fische ist ein innovativer Ausbildungsweg, bei dem man in nur drei Monaten den Einstieg in einen IT-Beruf findet – egal ob in einem neuen Unternehmen oder im Rahmen einer Reskilling Programm des eigenen Unternehmens.
Warum ist dieses Projekt so wichtig? Worin liegt der Mehrwert für die Arbeitswelt?
Dalia Das: Deutschland leidet unter einem IT-Fachkräftemangel. Allein in 2019 wurden 124.000 offene Stellen gemeldet, und die Lage hat sich auch 2020 trotz Corona nicht entspannt. Gesucht werden überwiegend Software-Entwickler und Datenspezialisten. Arbeitgeber beklagen sich darüber, dass sie teilweise über 100 Tage brauchen, um eine offene IT-Stelle zu besetzen. Es kommt nicht genügend Nachwuchs aus den Informatik-Studiengängen. Zum einen, weil die Absolventen der Universitäten nicht mit dem praxisnahen Wissen ausgestattet werden, das Unternehmen sich wünschen. Zum anderen liegt die Abbruch-Quote der Informatik-Erstsemester bei 43 Prozent. Hinzu kommt die fehlende Diversity in der IT, lediglich 17 Prozent aller IT-Stellen sind von Frauen besetzt.
Auf der anderen Seite gibt es viele Menschen, die IT als neue Perspektive für ihren Berufsweg begreifen – auch in vielen Unternehmen, die auf der einen Seite Stellen abbauen müssen und auf der IT Seite aber aufbauen. Weltweit benötigen übrigens 25 Prozent der Workforce bis 2025 ein Reskilling – so heißt es im "Future of Jobs Report" des World Economic Forum. Der allgemeine Fachkräftemangel in der IT lässt sich lösen, indem man die beiden Seiten zusammenbringt und neue Lernformate schafft. Und neue fische ist genau ein solches Lernformat.
Wie funktioniert das in der Praxis?
Dalia Das: Die Ausbildung dauert drei Monate. Unsere Trainer sind Vollprofis, Praktiker mit langjähriger Berufserfahrung in führenden Unternehmen. Ohne lange theoretische Einheiten befähigen wir unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Kursen, praxisnah und agil zu lernen und in einem praktischen Abschlussprojekt ihr Können vorzeigbar unter Beweis zu stellen. Ich nenne das ein „Digitales Gesellenstück“. Wo andere Fortbildungsformate nur mit einem Zertifikat enden, können unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer als Abschluss eine selbst gebaute App oder eine Anwendung aus dem Bereich des maschinellen Lernens vorweisen, wenn sie sich als Software-Entwickler oder Data Scientist bewerben. Auch bei diesem nächsten Schritt helfen wir ihnen. Unser Motto ist: „Anschluss ist uns wichtiger als Abschluss – oder mindestens genauso wichtig“. Das heißt, wir vernetzen aktiv in den Arbeitsmarkt hinein. Wir organisieren Abschlussveranstaltungen, bei denen die Absolventinnen und Absolventen in einminütigen Pitches und in anschließenden Gesprächen ihr Gesellenstück vor interessierten Arbeitgebern vorstellen. Wir haben ein festes Set an Partnern, die uns in dieser Mission, Nachwuchs zu fördern, unterstützen und dafür dann auch präferierten Zugang zu den Kandidatinnen und Kandidaten bekommen.
Wie messt Ihr den Erfolg des Projekts und den Einfluss auf die Arbeitswelt?
Dalia Das: Im Jahr 2019 sind 92 Prozent unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer in digitale Berufe eingestiegen. Das ist die Erfolgsgröße, an der wir uns messen. Auch wenn nicht alle, die ihren Abschluss bei uns machen, tatsächlich in diesem Feld arbeiten wollen – manche wollen sich auch einfach aufschlauen. Andere Gruppen wie z.B. Abiturientinnen und Abiturienten überlegen oft, wie sie ihre freie Zeit bis zum Studienbeginn sinnvoll nutzen können. Vor allem jetzt, wo sich Work&Travel und andere Reisepläne wegen Corona zerschlagen haben. Da entscheiden sich etliche, drei Monate zu investieren, um Programmieren zu lernen. Für sie zählt das zu den wichtigen Skills, die sie im Leben brauchen können, ähnlich wie Englisch zu sprechen.
Apropos investieren. Was kostet das bei Euch?
Dalia Das: Wir sind ein privater Bildungsträger und dementsprechend fällt eine Kursgebühr an. Die Bootcamps im Web- oder Java-Bereich kosten ca. 8000 Euro für drei Monate Vollzeitausbildung inklusive Notebook, die Data-Science-Kurse sind etwas teurer. Dafür können unsere Absolventinnen und Absolventen aber auch anschließend mit einem Jahresgehalt von ca. 42.000 Euro in den Job einsteigen – im Data Science Bereich eher höher. Insofern eine ganz gute Return-on-Investment-Rate. Wir haben aber von Anfang an Mittel und Wege geschaffen, damit die Ausbildung für jeden möglich ist. Mit dem Income-Share-Modell kann man bei uns sozusagen kostenfrei studieren und zahlt die Gebühren erst dann zurück, wenn man wieder Einkommen generiert. Außerdem arbeiten wir auch mit der Agentur für Arbeit zusammen, so dass diese zum Beispiel bei Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit bzw. bei Umbaumaßnahmen im Unternehmen die Studiengebühr mitfinanzieren kann, um schnell wieder auf den Arbeitsmarkt zu kommen.
Welche Hürden, Hindernisse, Stolpersteine gab es beim Aufsetzen Deiner Idee?
Dalia Das: Ich habe mich vor der Gründung mit Arbeitgebern aus meinem Netzwerk beraten, um in Erfahrung zu bringen, ob jemand akzeptiert wird, der sich als Quereinsteiger mit einer 3-monatigen Kursausbildung bewirbt. In den Stellenausschreibungen wird ja oft ein abgeschlossenes Hochschulstudium in Informatik, Mathematik oder ähnliches verlangt. Aber viele Personalverantwortliche und Entwickler haben mir zu verstehen gegeben, dass sie in erster Linie interessiert, ob die Bewerberin oder der Bewerber ins Team passt und etwas kann, dann sei ihnen der Uniabschluss egal. Das war es, was mich überhaupt dazu gebracht hat, es auf diesem Zertifikate-fixierten Markt in Deutschland zu versuchen. In den USA laufen solche Lernformate wie unseres seit fast zehn Jahren erfolgreich. Aber als wir anfingen, hagelte es Kritik, vor allem von gestandenen Entwicklern und aus der Uniwelt. Man fühlte sich von unserem Ansatz offenbar angegriffen, dabei ist das gar nicht unser Ansinnen. Wir können mit dem dreimonatigen Kurs auf keinen Fall das Informatikstudium ersetzen und das wollen wir auch gar nicht. Fakt ist jedoch, dass ein Studium nicht für jeden der richtige Weg ist – und viele Tätigkeiten, die sich in den Jobbeschreibungen finden, gar nicht im Studium der IT vermittelt werden. Die Akzeptanz im Arbeitsmarkt haben wir uns trotz Kritikern schließlich dennoch erworben. Denn unsere Absolventinnen und Absolventen überzeugen am Arbeitsmarkt. In Hamburg haben wir 2018 mit unserem Programm begonnen, ein Jahr später ging es in Köln weiter und im September 2020 sind wir in München an den Start gegangen. Aber an jedem neuen Standort müssen wir uns unsere Sporen neu verdienen.
Was bedeutet NEW WORK für Dich?
Dalia Das: NEW WORK bedeutet für mich, dass Leben und Arbeiten näher aneinanderrücken und dass wir mit unserem Motto "NEW WORK braucht New Education" dafür sorgen, dass sich Menschen diese neue Perspektive auch erfüllen können. Und zwar zu jedem Zeitpunkt im Leben und nicht nur einmal am Anfang, sondern im Zweifel auch drei, vier Mal in dem langen Leben, das wir hoffentlich alle führen werden.
Wie bist Du auf den NEW WORK AWARD aufmerksam geworden und was bedeutet die Auszeichnung für Euch?
Dalia Das: Wir sind ja jetzt schon zum zweiten Mal ausgezeichnet worden. Für den ersten Award haben wir uns gleich in unserem Gründungsjahr 2018 beworben, weil ich überzeugt davon war, dass man das Thema Bildung berücksichtigen muss, wenn man einen NEW WORK AWARD vergibt. Irgendwie scheine ich da einen Nerv getroffen zu haben, sowohl in der Jury als auch bei den User-Votings. Die Auszeichnung war ein enormer Anschub für die Motivation im Team, weil damit die Arbeit anerkannt wird, die jeder einzelne von uns leistet. Und es ist eine Bestätigung unserer Überzeugung, dass Bildung viele Facetten haben muss. Dieses Jahr sind wir als NEW WORK Alumni ausgezeichnet worden. Das zeigt deutlich, dass das Thema weiterhin von Interesse ist.
Wie geht es weiter, was sind Eure nächsten Schritte?
Dalia Das: Der Bedarf an IT-Fachkräften ist auch in Bereichen vorhanden, die über die reine Software-Entwicklung hinaus gehen. Deswegen werden wir 2021 neue Programme starten – zum Beispiel im Bereich Data Analytics oder auch Android / IOS Entwicklung. Darüber hinaus planen wir an zwei weiteren Standorten in Deutschland tätig zu werden. Unternehmen in Deutschland digitalisieren sich und suchen Talente vor der eigenen Haustür. Auch beim Thema Diversity wollen wir uns weiterhin stark aufstellen. Wir haben über alle Programme hinweg einen Frauenanteil von 50 Prozent. Etliche Geistes- und Naturwissenschaftlerinnen sind darunter, die den Zugang zur IT über das Interesse am Sprachenlernen finden, weil sie gut darin sind und statt Spanisch oder Latein jetzt eben eine Programmiersprache lernen. Andere kommen aus den klassischen HR- oder Marketingzweigen. Die haben bisher an der Schnittstelle zu den Tech-Teams gearbeitet und finden es spannend, auf die andere Seite zu wechseln. Ich kann nur an Frauen appellieren, sich zu bewerben. Die Unternehmen wissen nämlich gemischte Teams sehr wohl zu schätzen und wir sind – salopp gesagt – ein begehrter Pool, aus dem man sich gute weibliche Entwickler herausfischen kann.
Eure 3 Top-Tipps für alle, die die Arbeitswelt von morgen mitgestalten möchten?
1) Be open. Habt ein offenes Mindset. Probiert Euch aus, lasst Euch ein auf neue Dinge, auf neue Wege, auf neue Tools, auf neue Arbeitsweisen.
2) Embrace technical innovation. Man muss sich technischen Innovationen annähern und analysieren, wo sie einem nützen und wo sie ihre Grenzen haben.
3) Listen. Hört den Menschen zu. In Eurem Umfeld schlummern Talente, die entdeckt werden wollen, die wertvolles Wissen in sich tragen, das vielleicht wegen strenger Hierarchien nicht zur Entfaltung kommt. Das bedeutet auch mehr Offenheit gegenüber QuereinsteigerInnen, denn die Jobwelt muss durchlässiger werden, wenn wir wirklich NEW WORK leben wollen.
*Der NEW WORK AWARD geht in die nächste Runde - ab sofort sind Bewerbungen in den Kategorien NEW WORKER:IN, NEW WORK TEAMS und ZUKUNFTSWÜRFE möglich. Zusätzlich wird zum ersten Mal der NEW WORK PUBLIKUMSAWARD vergeben, in Kooperation mit der Plattform story.one auf der ganz persönliche NEW WORK-Geschichten veröffentlicht werden können. Alle Infos zum AWARD, den einzelnen Kategorien und den Bewerbungsmodalitäten gibt es auf dieser Spezialseite.