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„Nachfolge ist kein Jugend-forscht-Projekt“

Interview mit Maria Wirtz, Beraterin für Nachfolge im Mittelstand

6. Mai 2024

Familienunternehmen gelten als Erfolgsmodell des deutschen Mittelstands und stehen für Stabilität und Kontinuität über Generationen und Krisen hinweg. Allerdings resultieren aus der Verbindung von Familie und Unternehmen auch besondere Herausforderungen und Chancen – vor allem beim Generationswechsel. Bei der Übergabe eines Unternehmens geht es nicht nur um Vermögenswerte, Kennzahlen und Marktdaten, sondern immer auch um Menschen, sowohl in der Familie als auch im Unternehmen. Eine Nachfolge sei kein „Jugend-forscht“-Projekt, erklärt Maria Wirtz* von der Kölner Unternehmensberatung TMS im Interview mit dem NWX Magazin. Damit weder Vermögen noch Familie verloren gehe, müsse die Übergabe sorgfältig vorbereitet und professionell durchgeführt werden.

NWX Magazin: Frau Wirtz, seit mehr als 25 Jahren beraten und begleiten Sie Unternehmen rund um die Nachfolge – ein schwieriges Thema?

Maria Wirtz: Zumindest eines, das für die meisten Unternehmer nur einmal im Leben ansteht, also eines, mit dem sie kaum Erfahrung haben. Trotzdem laufen gerade im Mittelstand viele Übergaben glatt und vollkommen geräuschlos ab. Was wir als Unternehmensberatung erleben, ist also nicht repräsentativ: Zu uns kommen Unternehmen überwiegend, weil sie konkrete Herausforderungen haben, beispielsweise weil sie keinen geeigneten Nachfolger finden, weil sie ein Unternehmen in einer wirtschaftlich schwierigen Lage übergeben oder weil es zwischen den Generationen knirscht.

Worüber wird in Unternehmerfamilien gestritten?

Wirtz: Bei einer internen Nachfolge innerhalb der Familie resultieren Probleme oft daraus, dass die Beteiligten ihre Vorstellungen und Erwartungen nicht klar kommunizieren – nach dem Motto: Wir sind doch eine Familie. Doch Familienbande hin oder her – beide Generationen müssen sich ganz konkret überlegen, wie sie die Nachfolge gestalten wollen: Wie sieht der Zeitplan der Beteiligten aus? Wer übernimmt bis wann welche Aufgaben? Bleiben diese wichtigen Punkte unausgesprochen, sind Frust und Streit programmiert.

Geht es auch ums Geld?

Wirtz: Ja, auch beim Gehalt oder beim Unternehmenswert gehen die Vorstellungen auseinander und müssen abgeglichen werden. In der Praxis erlebe ich zum einen „Berufssöhne und -töchter“, die für ihren Job im Familienunternehmen im Verhältnis zu ihren Qualifikationen und Aufgaben völlig überbezahlt sind. Aber es gibt auch Eltern, die von ihren künftigen Erben mehr oder weniger ehrenamtlichen Einsatz erwarten, nach dem Motto: „Du bekommst ja eines Tages das Unternehmen.“ Beides ist problematisch. Maßstab für eine angemessene Bezahlung ist das Unternehmen und nicht die Verwandtschaft.

Sie raten also zu mehr Sachlichkeit?

Wirtz: Zu mehr Professionalität im Hinblick auf das Unternehmen. Unternehmer oder Unternehmerin zu werden, ist zuallererst eine wirtschaftliche Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen. Eltern sollten ihre Kinder auf keinen Fall emotional oder moralisch mit ihrem „Lebenswerk“ unter Druck setzen und Kinder sollten den elterlichen Betrieb nicht allein aus falsch verstandenem Pflichtgefühl übernehmen. 

Ist es denn nicht wichtig, Know-how und Arbeitsplätze zu erhalten? 

Wirtz: Doch, aber Sohn oder Tochter sind nicht automatisch die einzigen oder gar besten Kandidaten dafür. Unternehmen können beispielsweise auch jemanden aus der Belegschaft zum Nachfolger aufbauen. Oder sie bestellen externe Geschäftsführer und die Familie zieht sich auf die Rolle als Gesellschafter zurück. In den letzten Jahren erlebe ich zudem zunehmend, dass Unternehmer bereits mit Anfang 50 über einen Verkauf nachdenken, weil das Umfeld immer komplexer und herausfordernder wird. 

"Nachfolger sollten erstmal rausgehen und andere Unternehmen kennenlernen"

Was raten Sie, wenn die junge Generation die Nachfolge antreten möchten?

Wirtz:  Sie benötigen dafür Kompetenz, Motivation und oftmals auch Kapital. In der Nachfolgeberatung empfehlen wir deshalb als ersten Schritt eine umfassende Bestandsaufnahme: Wie geht es dem Unternehmen? Was braucht es für den Fortbestand? Was kann und will die alte Generation noch leisten? Und was bringt die nächste Generation mit? Welche Qualifikationen und Erfahrungen fehlen vielleicht noch und wo können die erworben werden? Wenn bis zur Übernahme noch sechs bis acht Jahre Zeit sind, empfehle ich oft nochmal rauszugehen, andere Unternehmen kennen zu lernen und Fehler lieber dort zu machen. Ganz wichtig auch die Frage: Zieht der Partner oder die Partnerin mit? 

Sollten beide Generationen eine Zeit lang gemeinsam im Unternehmen arbeiten oder empfehlen Sie einen klaren Cut?

Wirtz: Wenn dafür genug Zeit ist, befürworte ich einen gleitenden Übergang. Schließlich muss viel übergeben werden: Knowhow, Kunden, Geschäftsbeziehungen. Allerdings sollte die ausscheidende Generation vorab klar definieren, bis wann sie das Unternehmen verlässt und sich daran dann auch halten. Gemeinsam ist nicht das Ziel einer Unternehmensübergabe. Solange jemand als Eigentümer oder Gesellschafter mit seinem Kapital haftet, benötigt er selbstverständlich weiterhin bestimmte Mitspracherechte. Das heißt aber nicht, dass er oder sie weiterhin jede Order über 3,50 € absegnen muss.

Wie vermeidet man lähmendes Kompetenzgerangel, solange beide Generationen im Unternehmen arbeiten?

Wirtz: Mit Professionalität und klaren Absprachen. „Komm erstmal mal her und dann machen wir das zusammen“ ist eine romantische Vorstellung und funktioniert vielleicht in der Familie, ist aber im Unternehmen wenig praktikabel. Nachfolge ist auch kein „Jugend-forscht“-Projekt, bei dem sich die nächste Generation fröhlich ausprobiert. Für den Einstieg ins Familienunternehmen empfehle ich klare Stellenbeschreibungen: Wie lautet die Position im Unternehmen? Welche Befugnisse und Aufgaben sind damit verbunden? Wer entscheidet was? Auch die Mitarbeitenden brauchen Klarheit.

"Die entscheidende Frage ist nicht: Bin ich wie Mama oder Papa?"

Erleben Sie es häufig, dass „alte Hasen“ in der Belegschaft organisatorische Veränderungen und neue Ideen ablehnen und den Nachfolgern das Leben schwer machen?

Wirtz: Das kommt schon vor, aber gerade in den letzten Jahren sehe ich das nur noch selten. Den meisten ist klar, dass es kein „weiter so“ mehr geben kann, sondern dass Unternehmen neue Ideen und Kompetenzen brauchen, um den Wandel zu bewältigen.

Woran erkenne ich, ob ich eine gute Nachfolgerin oder ein guter Nachfolger für das Familienunternehmen bin?

Wirtz: Auf jeden Fall nicht mit einem simplen Test wie aus der Illustrierten. Wichtig ist, eine klare gemeinsame Vorstellung über die konkreten Unternehmensanforderungen zu entwickeln und sie regelmäßig mit dem eigenen Profil abzugleichen. In den meisten Unternehmen sind heute andere Fähigkeiten gefragt als vor 10 oder 20 Jahren. Die entscheidende Frage lautet also stets: Welche Kompetenzen brauche ich zur Führung des Unternehmens heute und in Zukunft? Und nicht etwa: Bin ich wie Mama oder Papa?

Interview: Kirstin von Elm

*Zur Person: Als erfahrene Beraterin, Trainerin und Referentin ist Maria Wirtz seit über 20 Jahren im Thema Unternehmensnachfolge bundesweit und branchenübergreifend tätig. Bei der Kölner Unternehmensberatung TMS berät und begleitet sie Unternehmerfamilien in allen Aspekten der Nachfolgeregelung und Governance und führt Assessments und Standortbestimmungen mit potenziellen Nachfolgerinnen und Nachfolgern durch. 

Maria Wirtz auf XING  / Beraterprofil beim Bundesverband Deutscher Unternehmensberatungen: Maria Wirtz (bdu.de)

 

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