Die Zeiten, in denen Führungskräfte Entscheidungen aus dem Bauch heraus trafen, sind vorbei – oder doch nicht ganz? Ungeachtet des immer größeren Einfluss von Künstlicher Intelligenz und anderen Tools auf Unternehmensentscheidungen entdecken viele Führungsteams gerade, wie wertvoll es bleibt, auch das eigene Gespür sprechen zu lassen: Gute Führung funktioniert heute nicht trotz, sondern mit Daten – und sie bleibt umso menschlicher, je digitaler sie wird. Eine Analyse von Thorben Hansen.
In deutschen Unternehmen ist der Wandel längst spürbar. Laut einer aktuellen Umfrage der Liz Mohn Stiftung nutzt bereits rund ein Drittel der Führungskräfte Künstliche Intelligenz regelmäßig – vor allem, um Kommunikations- oder Planungsaufgaben effizienter zu gestalten. Die Liste der KI-Anwendungen in Sachen Management und Strategien auf C-Level-Ebenen ist mittlerweile lang und vielfältig. Doch wenn es ans Eingemachte geht, also um Konfliktlösung oder Personalentscheidungen, setzen viele lieber Chefinnen und Chefs doch noch lieber auf ihre meist langjährige Erfahrung. Kein Wunder: 60 Prozent der Befragten befürchten, dass KI die emotionale Dimension von Führung verdrängen könnte. „Daten geben uns Orientierung, aber sie erklären nicht die Menschen dahinter“, fasst eine Teilnehmerin der Studie treffend zusammen
Interessant: Die Offenheit für KI wächst dort, wo weniger Hierarchie und mehr Vertrauen herrscht: Jüngere Führungskräfte sehen die Technologie laut Studie als Sparringspartner – und weniger als Bedrohung. Sie nutzen KI, um Überblick zu behalten, nicht, um Kontrolle auszuüben.
Der Wandel hat Folgen für die Führungsrolle. Die "Human Capital Trends 2025" von Deloitte zeigen, dass sich erfolgreiche Leadership zunehmend an zwei Dingen misst: an digitaler Analysefähigkeit und an der Fähigkeit, diese in eine sinnvolle Geschichte zu übersetzen. Denn Daten allein schaffen keine Motivation – dafür braucht es menschliche Resonanz.
In vielen Unternehmen entstehen derzeit neue Praktiken des „Augmented Leadership“: Führungskräfte lassen sich von Echtzeitdaten beraten, aber sie entscheiden selbst – bewusst, situativ, empathisch. Eine Art Co-Pilotenprinzip: Die KI liefert Fakten, der Mensch steuert Richtung und Tempo.
Natürlich bleibt die Skepsis. Die Gefahr, sich in Zahlen zu verlieren, ist real. Doch wer den Mut hat, Daten als Spiegel zu verstehen statt als Steuerknüppel, profitiert gleich doppelt: Entscheidungen werden fundierter, Kommunikation klarer – und das Vertrauen im Team wächst.
Der Stifterverband bringt es in seiner Studie über KI-Kompetenzen auf den Punkt: Noch fehlen in vielen Organisationen die Fähigkeiten, Daten richtig zu deuten – vor allem kritisch. Wer aber lernt, Daten zu hinterfragen statt sie blind zu glauben, entwickelt die wohl wichtigste Führungskompetenz der nächsten Jahre: Urteilskraft.
Der neue Führungsstil heißt nicht „entweder–oder“, sondern „sowohl–als auch“. Zahlen bringen Klarheit, Intuition schafft Bedeutung. Die besten Führungskräfte von heute kombinieren beides. Sie nutzen Daten, um zu sehen, was ist – und ihr Bauchgefühl, um zu spüren, was werden kann. Oder, wie ein Manager aus der Liz-Mohn-Studie es formulierte: „KI sagt mir, was wahrscheinlich richtig ist. Mein Gefühl sagt mir, ob es für uns richtig ist.“
Genau da, zwischen Ratio und Resonanz, entsteht moderne Leadership.
Thorben Hansen