Stefanie Stahl ist eine der bekanntesten deutschen Psychotherapeutinnen, erfolgreiche Autorin und XING Insiderin. Ihre Werke stehen seit Jahren auf den Sachbuch-Bestsellerlisten. Zwei ihrer Hauptthemen sind Selbstfindung und Purpose in der Beziehung zwischen Menschen und ihrer Arbeit. Mit NWX Magazin-Autorin Daniela Lukaßen-Held sprach Stefanie Stahl über die Frage nach dem Sinn in der Arbeit und warum es wichtig ist, sich und den Job nicht immer so ernst zu nehmen.
NWX Magazin: Warum ist es wichtig, einen Sinn in der eigenen Arbeit zu sehen?
Stefanie Stahl: Alles, was sich für uns sinnlos anfühlt, ist für uns schwierig zu bewältigen. Und Sinn ist gerade bei der Arbeit an das Selbstwertgefühl gekoppelt: In dem Moment, wo ich mich mit einem Unternehmen identifizieren kann, tut das meinem Selbstwertgefühl gut. Und es geht auch um das Grundbedürfnis nach Kontrolle. Wenn ich das Gefühl habe, ich mache etwas Sinnvolles, habe ich eine gewisse Kontrolle über die Dinge - in dem Sinne, dass ich der Arbeit, die ich verrichte, auch innerlich zustimmen kann.
Sie appellieren häufig, Verantwortung zu übernehmen. Spielt das hier auch eine Rolle?
Stefanie Stahl: Ja, natürlich. Denn Sinn und Verantwortung sind ja häufig miteinander verknüpft. Es geht immer um die Frage: Handle ich auf Befehl oder handle ich, weil ich dahinterstehe und mich dafür verantwortlich fühle? Das Gegenteil hiervon wäre ja eine Erfüllung von Befehlen, hinter denen ich selbst nicht stehe. Wenn ich als russischer Soldat in den Krieg ziehe und sinnlose Befehle ausführen muss, habe ich eine extrem hohe Frustration. Und darum kann es auch gehen, wenn ich keinen anderen Job gefunden habe. Wenn ich nun etwa für eine Firma arbeite, hinter der ich nicht stehen kann, nur um am Ende des Monats Geld zu haben. Wenn ich dann vielleicht noch eine schlechte Führung habe, dann erzeugt das einen inneren Konflikt und eine innere Reibung. Und dieses Gefühl, dass ich mich unterwerfen muss, ist das Gegenteil von Verantwortung übernehmen.
"Der Sinn hat schon ein bisschen den Status abgelöst"
Ist es den Menschen in den vergangenen Jahren wichtiger geworden, etwas Sinnvolles zu tun?
Stefanie Stahl: Ja. Der Sinn hat schon ein bisschen den Status abgelöst. Vor 20 oder 30 Jahren war Status noch höher angesehen: ein tolles Auto oder sich den Urlaub zu leisten oder ein Reihenhaus zu kaufen. Aber durch die Klimakrise und auch dadurch, dass menschliche Werte immer höher gehalten werden in der Gesellschaft, hat die Frage nach dem Sinn tatsächlich an Bedeutung gewonnen. Auch, weil wir sicherlich materiell immer besser abgesichert sind. Und je besser man materiell abgesichert ist, desto mehr kommen diese neueren Fragen ins Blickfeld. Jemand, der ums Überleben kämpft, ist nicht so sehr mit der Sinnfrage beschäftigt.
Wie findet man denn den Sinn in der eigenen Arbeit?
Stefanie Stahl: Bei vielen fängt es ja schon mit der Berufsauswahl an, dass man sich fragt, worauf habe ich Lust, was kann ich gut und was würde mir liegen. Und es passt nicht alles zu jedem. Weder, was die Charaktereigenschaften betrifft, noch, was die Talente betrifft. Man erlebt auch da Sinnlosigkeit, wo man sich vergeblich bemüht, gute Ergebnisse zu erzielen. Wenn ich zum Beispiel sehr introvertiert bin, dann würde es mich stressen, ständig im Kundenkontakt zu sein oder im Großraumbüro zu sitzen. Daher ist es zunächst wichtig, dass man sich eine Beschäftigung sucht, der man sich auch gewachsen fühlt und die auch zum eigenen Wesen passt.
Und inwieweit profitiert das berufliche Umfeld, wenn Beschäftigte ihre Arbeit als sinnvoll wahrnehmen?
Stefanie Stahl: Die Arbeitsfreude ist sehr viel höher, wenn der Mensch bereit ist, wirklich Verantwortung zu übernehmen und dahinter zu stehen, was man tut. Wenn man die Arbeit als sinnvoll erlebt, ist man stärker mit ihr identifiziert. Und damit auch mit dem Arbeitsumfeld und dem Unternehmen. Und daher natürlich auch verantwortungsbereiter. Man geht gerne zur Arbeit und wer gerne zur Arbeit geht, hat weniger Krankheitstage und erledigt seine Arbeit mit mehr Motivation.
In einem Ihrer Blogartikel raten Sie dazu, den Job und sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Warum?
Stefanie Stahl: Das hat etwas mit dem Selbstwertgefühl zu tun. Wenn wir eine Kränkung erleben, ist die umso größer, je stärker ich mich mit dieser Kränkung identifiziere. Und viele Menschen nehmen sich hier im negativen Sinne einfach zu ernst. Je besser es mir gelingt, ein bisschen Abstand von meinem eigenen Ego zu nehmen, desto leichter kann ich zum Teil auch durchs Leben gehen.
Sie sprechen in Ihren Büchern häufig über Selbstfindung. Wie hängen Selbstfindung und Purpose zusammen?
Stefanie Stahl: Je besser ich mich kenne, desto besser weiß ich, was zu mir passt. Wenn ich mich selbst noch gar nicht so sehr gefunden habe und mein Leben sehr nach den Vorstellungen meiner Eltern gestalte, dann kann es mir leicht passieren, dass ich zum Beispiel eine Ausbildung wähle, die eher den Bedürfnissen meiner Eltern entspricht als meinen eigenen. Dass ich in einem Beruf lande, der mir gar nicht entspricht, der mir auch keine besondere Freude bereitet und für den ich vielleicht noch nicht einmal besonders begabt bin. Je mehr ich mich also selbst kenne, umso genauer kann ich meine persönlichen Ziele definieren und weiß, was ich will.
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