Der NEW WORK AWARD von XING gehört seit seiner Premiere im Jahr 2013 zu den renommiertesten Auszeichnungen von Leistungen und Ideen für die Gestaltung einer modernen, humanen Arbeitswelt. Einer der wichtigsten Initiatoren des Preises und seit Beginn auch Vorsitzender der Award-Jury ist Thomas Sattelberger, einer der profiliertesten Arbeits- und Sozialexperten Deutschlands. Anlässlich des Startschusses zum NWA21 sprach Sattelberger mit dem NWX Magazin über Neuerungen des Wettbewerb und den aktuellen Stand der NEW Work-Bewegung.
NWX Magazin: Herr Sattelberger, der Startschuss zum NEW WORK AWARD 2021 (*s. Infos unten) ist erfolgt. Freuen Sie sich als Jury-Präsident auf den Wettbewerb in diesem Jahr?
Thomas Sattelberger: Ja, ich freue mich sehr, denn es ist wunderbar, wenn Themen trotz oder gerade wegen Corona weiterlaufen und dann auch noch im neuen Gewand.
Im vergangenen Jahr musste sich der NWA wegen Corona quasi über Nacht neu erfinden und einiges verändern. Auch dieses Mal gibt es Neuerungen.
Sattelberger: Ja, aber nur zurückhaltende. Auf der einen Seite gehen wir wieder zurück zur Kategorie NEW WORK Teams, also jene Teams, Gruppen und Netzwerke, die in einer Organisation neue, innovative Lösungen leben und anbieten für die Weiterentwicklung der Arbeitswelt. Und zum zweiten, was fast noch ein Stück wichtiger ist, gibt es die neue Kategorie "Zukunftswürfe".
Was verbirgt sich dahinter?
Sattelberger: Der Begriff "Würfe" ist gezielt gewählt, auch in Abgrenzung zu "Entwürfen". Zukunftswürfe, das beinhaltet Bewegungen und Ideen, eben Bälle, die in die Luft geworfen werden. Das wird interessant, weil ja immer wieder gesellschaftliche Transformationen mit solchen zum Teil utopischen Ideen begonnen haben. Also beispielsweise wie bei utopischen Sozialisten wie Henri de Saint-Simon oder Charles Fourier, die schon ganz früh kommunitaristische Arbeits- und Lebensformen bis hin zum bedingungslosen Grundeinkommen "in die Luft geworfen" haben. Ich glaube, Veränderung braucht diese Würfe, die im nächsten Schritt Prototypen werden können, die man auf Inseln ausprobiert. Und die dann eine Chance haben, sich auszuweiten und zu skalieren.
Das heißt, es geht in dieser Award-Kategorie tatsächlich auch wieder mehr ums Visionäre.
Sattelberger: Ja, deswegen hab ich ja auch Bezug genommen auf diese utopischen Sozialisten, die zum Teil wirklich ganz weit wegliegende visionäre Ideen in den Raum gesetzt haben - und erst Dekaden später damit begonnen haben, damit zu experimentieren. Am Anfang war die Idee. Und NEW WORK kann heute von solchen Gedanken profitieren. Weil so eine Bewegung ja ständig Verwässerung und Erosion erlebt. Und die geistige Zuspitzung ist elementar wichtig, damit die große Idee weiterlebt.
Auch weil NEW WORK nicht nur Homeoffice ist, wie manchmal in der Pandemie geglaubt wird.
Sattelberger: Ja, manchmal bleibt NEW WORK ganz fachlich eng in einer Schublade. Und leider gibt es auch nicht wenige Personalabteilungen, die bei solchen Begrenzungen stehenbleiben. Wir brauchen, um es mal in diesem Bild zu sagen, für das Thema NEW WORK keine Klempner. Sondern gerade jetzt wieder eher Architekten und Designer. Und Ideenwerfer.
Das wird bestimmt sehr spannend, welche Bewerbungen in dieser Kategorie kommen.
Sattelberger Bestimmt. Es ist fast wie am Anfang des NEW WORK Award, als wir auch nicht genau wussten, was da alles reinkommen würde.
Was die NWA-Jury von den Bewerbungen hält, werden die User*innen jedenfalls mitverfolgen können: Die abschließende Jury-Sitzung wird aufgezeichnet und zur Verleihung öffentlich präsentiert.
Sattelberger Ja, wir wollen da transparenter werden, die Menschen sollen sehen, wie wir mit ihren Projekten und Ideen umgehen. Und dann gibt es noch eine tolle Neuigkeit aus der Jury: Wir haben Janina Kugel für dieses Jahr als Jurorin gewonnen.
Und schließlich gibt es auch noch die Kooperation mit story.one, einer Plattform, auf der ganz persönliche NEW WORK-Geschichten veröffentlicht werden, die dann als Publikumspreis geehrt werden und anschließend sogar als Buchprojekt erscheinen sollen. Damit beommt der NWA auch zum ersten Mal eine poetische Ebene.
Sattelberger: Wir vergessen oft, dass es nicht nur technologische und soziale Innovationen gibt, sondern auch ästhetische und kulturelle Innovationen. Und das Thema NEW WORK hat natürlich auch viele ästhetische Beziehungen. Das fängt im Grunde damit an, wie Arbeitswelten ausschauen und wie sie empfunden werden. Ob es in diesen Arbeitswelten Potenziale gibt, die alle Sinne aktivieren können. Und natürlich, wie wir alle wissen, macht das Schöne, Gute, Edle, also die ästhetische Komponente auch begehrenswert. Ja, diese poetische Seite und die ästhetische Seite sind ebenfalls wichtige Punkte bei NEW WORK.
Sind sie das auch deshalb, weil eine harsche, hässliche Disruption wie Corona so vieles in diese Arbeitswelt verändert hat?
Sattelberger: Natürlich: Corona hat das ganze Thema Arbeitszeit- und Arbeitsortsouveränität und damit wichtige Dimensionen von NEW WORK voll aufgelöst. Da gibt's eigentlich kein Zurück mehr, zumindest kein komplettes Zurück. Ich glaube aber, dass Corona auch deutlich gemacht hat, wo die Grenzen von Arbeitszeit- und Arbeitsortsouveränität liegen. Wenn man sieht, dass die Apples, Googles und Amazons dieser Welt ihre Mitarbeiter zurückrufen. Und große Büroflächen in New York anmieten. Dann wird deutlich, dass das Thema Innovation anscheinend kein Ding ist, das ganz toll remote läuft.
Geht also doch nichts den direkten Austausch? Ist die Kaffeeküche also immer noch ein magischer Platz?
Sattelberger: Innovation hat immer etwas damit zu tun, dass man auf Tuchfühlung ist - diesen schönen deutschen Begriff. Und es gibt viele Studien darüber, dass die soziale Bindung mit der physischen Distanz zum anderen sinkt. Dass durch den digitalen Kontakt dieses Gemeinschaftsgefühl erschwert wird. Aber Tuchfühlung ist nicht nur wichtig für das Bilden gemeinsamer Identität und Gemeinschaft. Sondern auch wichtig für das Thema Innovation. Und da werden die Firmen, die jetzt plötzlich nur noch darauf gucken, Büroflächeneffizienzgewinne einzuheimsen, ein bitteres Erwachen erleben.
Und dann gibt es noch eine dritte Dimension, über die noch gar nicht geschrieben ist: Es sind ja jetzt Millionen Menschen in den Status von Crowdwork oder Clickwork gesetzt. Abwesend aus der Firmengemeinschaft, remote "funktionierend" auf Anweisung. Sind das die neuen Solo-Selbstständigen der Zukunft? Denn dass es geht, auch durch simple Beauftragung Arbeit erledigen zu lassen, haben jetzt viele Unternehmen gelernt. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass das die Debatte über Crowd- und Clickwork richtig anfacht. Und dass natürlich Geschäftsmodelle, die mit dieser Form von Arbeit, Geld verdienen, weiter wachsen und gedeihen.
Aber hat dies nicht auch eine Grenze, wo remote wirklich nicht mehr funktioniert? Und vielleicht aus den jetzigen Großraumbüros Modell Legebatterie endlich mehr Austausch- und Innovationsstätten werden?
Sattelberger: Vielleicht, aber für selbst hochkomplexe, aber letztendlich doch Routinetätigkeiten, die nicht unbedingt Kreativität im sozialen Kontext erfordern, könnte es in Sachen Festanstellung und „normale“ Arbeitsverhältnisse schon bald eng werden.
Sie sagten es ja schon: Crowd- und Clickworking als wichtiges Thema der digitalen Arbeitszukunft wird sicherlich auch die politische Diskussion der nächsten Jahre beschäftigen. Und damit auch - über die Bundestagswahl hinaus, bei der Sie für die FDP kandidieren - die Diskussion über die Zukunft unserer Gesellschaft im Allgemeinen. Auch dazu laden Sie am Mittwoch dieser Woche zu einer hochkarätig von links bis rechts besetzten Online-Diskussionsrunde ein (**siehe unseren Event-Tipp unten). Es geht um Visionen für eine neue Soziale Marktwirtschaft, für die Sie mit dem Trendinstitut „2b AHEAD“ eine Studie erstellt haben.
Sattelberger: Ja, wir haben fünf Szenarien einer Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft entworfen. Mit zwei extremen Polen: einmal des digitalen Sozialdarwinismus und auch der anderen Seite des digitalen Staatskapitalismus. Und dann gibt es drei Szenarien, die aufzeigen sollen, wie es mit der jetzigen sozialen Marktwirtschaft realistisch weitergehen könnte. Neben einem "einfachen" Weiter so, das aber nicht wirklich zukunftsträchtig ist, haben wir ein zweites, die "Humane Marktwirtschaft in der Digitalisierung" entworfen. Und dann gibt es noch das Szenario "Nullwachstum - Gemeinwohlökonomie". (*Mehr Infos unter diesem Link). Die werden wir auf dem Panel am Mittwoch diskutieren.
Das ist sicherlich nur ein erster Anstoß zu einer weiterführenden Diskussion, die weiter als der 26. September 2021 gehen muss und auch wird.
Sattelberger: Ja, aber die auch deutlich machen soll, dass es auch Menschen gibt, die auch jetzt schon über ein Wahlprogramm hinausdenken. Damit kann ich auch wieder wunderschön anknüpfen, an unser NWA-Kategorie Zukunftswürfe. Denn es sind ja auch erste Würfe in die Zukunft, die wir mit dieser Studie diskutieren wollen. Und ich bin natürlich für das mittlere Szenario der sozialen Marktwirtschaft, weil ich, was gesellschaftliche Veränderung angeht, kein Revolutionär bin. Denn wir haben ja gesehen, dass Revolutionen im Kern erstens viel Elend über viele Millionen Menschen gebracht haben, und oft damit geendet haben, dass neue Macht entstanden ist.
Dafür haben wir aber viel zu große Themen, die wir in der Zukunft lösen müssen. Natürlich das Thema Nachhaltigkeit, natürlich das Thema digitale Arbeit. Um dann die Frage der human zentrierten Forschung und Technologieentwicklung. Dass der Mensch nicht Sklave des Roboters, sondern Partner des Roboters oder der künstlichen Intelligenz ist. Wie auch immer - da kommen schon wirklich wichtige Themen auf uns zu.
Herr Sattelberger, vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Ralf Klassen
*Der NEW WORK AWARD geht in die nächste Runde - ab sofort sind Bewerbungen in den Kategorien NEW WORKER:IN, NEW WORK TEAMS und ZUKUNFTSWÜRFE möglich. Zusätzlich wird zum ersten Mal der NEW WORK PUBLIKUMSAWARD vergeben, in Kooperation mit der Plattform story.one auf der ganz persönliche NEW WORK-Geschichten veröffentlicht werdne können. Mehr Infos zum AWARD, den einzelnen Kategorien und den Bewerbungsmodalitäten gibt es auf dieser Spezialseite.
**Event-Tipp: Am Mittwoch, den 19.05. um 19 Uhr, diskutiert Thomas Sattelberger mit einem prominent besetzten Panel unter dem Titel "Humane Marktwirtschaft in der digitalen Gesellschaft" über Zukunftsszenarien von Arbeitswelt und Gesellschaft vor dem Hintergrund von Digitalisierung und Transformation. Mehr Infos und die Möglichkeit zur Anmeldung gibt es unter diesem Link.