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„Diversity ist ein starker Business-Faktor“

Interview mit Ana-Cristina Grohnert / Charta der Vielfalt

16. Mai 2022

Der Zusammenhang zwischen der Vielfalt im Unternehmen und dem Geschäftserfolg ist deutlich: Laut einer McKinsey-Studie bringt Gender-Diversity eine 25 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit mit sich, überdurchschnittlich erfolgreich zu sein – bei ethnischer Vielfalt im Vorstand sind es sogar 36 Prozent. Und die Werte steigen. Diversity ist kein Charity-Programm für eine Minderheit, sagt auch Ana-Cristina Grohnert*. Die ehemalige Allianz-Vorständin ist Vorsitzende des Vereins „Charta der Vielfalt“** und sagt: Unternehmen müssen endlich verstehen, dass Vielfalt ein Business-Treiber ist. Im Interview mit dem NWX Magazin erklärt sie, wie man es anpackt, warum Diversity immer von oben kommt – und was Vielfalt für Führungskräfte bedeutet.

NWX Magazin: Wie sind Sie selbst zum Thema Diversity gekommen?

Ana-Cristina Grohnert: Als ich Partnerin bei Ernst&Young war – die einzige Frau in dem Kreis – sollte ich das Frauennetzwerk übernehmen. Meine Antwort war: Nur, wenn ich das ganz neu gestalten kann. Wir haben es dann umbenannt in Diversity Management und waren uns einig, dass wir eine Kultur haben wollen, die jeden willkommen heißt und keinen ausschließt. Das Thema Vielfalt hat mich schon länger beschäftigt. Bei mir selbst gab es noch kein Karrieremodell, dass sich mit meiner Familie gut vereinbaren ließ und in Einladungen las ich: „Sie können gern Ihre Ehefrau mitbringen.“ Das stieß bei mir alles auf fruchtbare Erde, ich wusste aber nicht, was ich damit anfangen sollte. Dann war ich in einer Führungsposition und dachte: So, jetzt gestalte ich.

Warum sollte sich jedes Unternehmen Gedanken um Vielfalt machen?

Ana-Cristina Grohnert: Es ist einfach ein starker Business-Treiber, das müssen die Leute verstehen. Es geht nicht um einzelne Mitarbeiter, es geht nicht darum, dass einige wenige benachteiligt sind: Wenn die sich nicht wahrgenommen fühlen, müssen wir doch für das ganze Unternehmen die Kultur ändern. Wie funktionieren Beförderungen, wie transparent ist unser System, geben wir jedem seine Chancen, egal woher er kommt oder wen sie liebt? Vielfalt ist ein Veränderungsprogramm für die Mehrheit und kein Charity-Programm für einige Minderheiten. Diverse Teams arbeiten erfolgreicher und sind innovativer: Vielfalt zahlt direkt auf den Unternehmenserfolg ein.

Wie schafft man es denn als Unternehmen, mehr Vielfalt zu erreichen?


Ana-Cristina Grohnert: Man betrachtet als Personaler erst mal die obersten drei Führungsebenen: Wie gemischt ist das schon? Dann mache ich eine Nachfolgeplanung und skizziere, was passt und was fehlt, wenn einer geht. Im nächsten Schritt machen die Führungskräfte diese Betrachtung auch für ihre jeweiligen Teams. Und es muss im Recruiting-System integriert sein: Spricht man alle an, welche Pronomen werden verwendet, spreche ich auch Leute mit Migrationshintergrund an? Oder ich gehe selbst an die Uni und unterstütze drei junge Frauen mit Praktika und mit Coachings. Da sind Tonnen von Möglichkeiten, wenn man den Kopf aufmacht. Es bringt mir keiner die Mitarbeiterinnen vorbei.

Welche Tools helfen ganz konkret, mehr Offenheit bei den eigenen Mitarbeitern zu erreichen?

Ana-Cristina Grohnert: Ganz zentral ist ein „unconscious bias training“, in dem man sich selbst bewusst macht, dass man vorbildabhängig programmiert wird und dass man bestimmten Begriffen bestimmte Adjektive und Pronomen zuordnet. Das ist wirklich bewusstseinseröffnend. Jeder Mitarbeiter sollte so ein Training bekommen. Und man muss die oberste Ebene mit einem Executive Coaching trainieren. Da stellt man sich ganz ehrlich in einem geschützten Raum seinen blinden Flecken: Höre ich wirklich zu oder hindert mich etwas daran, offen zu sein? Warum reagiere ich auf welche Weise auf bestimmte Menschen? Wenn man da in den ersten beiden Ebenen viel Kraft hineinsteckt, ist das kulturbildend. 

Kommt die Diversity also immer von oben?

Ana-Cristina Grohnert: Ja. Denn es geht um die Vorbildfunktion von Führung. Da wirken die Spiegelneuronen, die uns schon als Kind dazu bewegt haben, Verhalten zu adaptieren, um akzeptiert und gemocht zu werden. Wenn Sie in ein Unternehmen kommen, werden Sie sich die, die dort erfolgreich sind, zum Vorbild nehmen und sich ebenso verhalten. Deswegen ist es so toxisch, wenn in höheren Positionen Leute sitzen, die alte Führungsinsignien hochhalten, Macht erhalten wollen und nicht offen für neue, diverse Teams sind. Dann nehmen sich Mitarbeitende ein Beispiel daran und daran zerbricht eine Unternehmenskultur. Das Unternehmen darf den da nicht sitzen lassen – gerade in oberen Führungspositionen kann man als CEO schon klare Zeichen setzen, wen man auf welcher Position haben will und dann gibt es Möglichkeiten, jemanden loszuwerden.

Wenn wir eine Ebene weiter runtergehen: Was kann die einzelne Führungskraft im eigenen Team tun? 

Ana-Cristina Grohnert: Zunächst einmal stellt sich die Frage, wer die Führungskraft ist oder sein sollte. Wir kommen aus einer Kultur, in der der größte Experte Führungskraft geworden ist und immer allen erzählt hat, wie alles geht. Das ist sehr kontraproduktiv, wenn ich Neues und Innovatives reinbringen will. Ich will Führungskräfte sehen, die die total neugierig sind auf neue und andere Perspektiven, auf Dinge, die sie selbst nicht wissen. Wir brauchen Leute, die sagen: ‚Weiß ich nicht, aber erzähl du mir mal oder lass uns das recherchieren, damit wir weiterkommen.‘ Ich will Führungskräfte sehen, die gespannt sind auf die Andersartigkeit und alles aufsaugen, was der andere mitbringt.

Aber die Führung eines diversen Teams ist ja auch anstrengender als die einer recht homogenen Mannschaft…

Ana-Cristina Grohnert: Ja! Das kostet mehr Zeit – aber was setzt das für eine Energie frei? Viele Studien belegen, dass Wachstum und Innovation dort stattfinden, wo gemischte Teams sind, mit ganz unterschiedlichen Sichtweisen – und eine Führungskraft, die empathisch ist und das gut moderieren kann. Ein ganz konkreter Fall: Der Kunde zögert die Unterschrift für ein Projekt hinaus. Ein diverses Team mit allen möglichen Sichtweisen kann viel wahrscheinlicher herausfinden, was der Kunde jetzt braucht, um zu unterschreiben. Da sind viel mehr Perspektiven, Ängste und Risiken zu erkennen. Da wird klar, dass es ein Businessfaktor ist.

In so einem diversen Team alle gleich zu behandeln, ist aber auch eine große Herausforderung für die Führung. Wie schafft man das? 

Ana-Cristina Grohnert: Wenn mir jemand sagt, er behandle doch alle gleich, dann sage ich: Schlechte Nachricht. Die sind nicht alle gleich. Nur weil etwas für einen passt, passt es nicht für alle. Der Standard ist: Jeder lebt anders und jeder liebt anders – und vielleicht ändert sich auch die Identität im Lauf des Lebens. Es geht darum, gleiche Chancen zu geben. Gleichbehandlung sorgt eher für Frustration als für ein Gefühl von Teilhabe. Mit drastischen Folgen übrigens für die Gesellschaft.

Inwiefern?

Ana-Cristina Grohnert: Wir müssen uns vorstellen, wenn jemand Ausgrenzung aufgrund seiner Andersartigkeit erfährt, dann ist das so ein großer Schmerz für diejenige oder denjenigen. Das sorgt dafür, dass man einfach nur noch 0815 arbeitet, weil man Geld verdienen muss. Und dass man auch im Leben nicht glücklich ist und frustriert ist. Das macht Menschen offen für einfache Lösungen und radikale Angebote: Das wollen wir als Gesellschaft ganz sicher nicht. 

Das Interview führte Maria Zeitler

Unsere Gesprächspartnerin: Ana Cristina Grohnert ist seit 2013 die Vorstandsvorsitzende des Charta der Vielfalt e.V. Ab 2007 setzte sie sich bereits als Partnerin beim Beratungsunternehmen Ernst & Young als Geschäftsführerin und Arbeitsdirektorin für einen kulturellen Veränderungsprozess ein. 2018 wurde Ana Cristina Grohnert Personalvorständin der Allianz Deutschland AG und trieb auch hier die Themen, Diversität, Inklusion und eine neue Führungskultur voran. Seit 2019 fokussiert sie sich auf die Charta der Vielfalt und ist als Startup-Investorin und Autorin tätig. In ihrem Buch „Das verborgene Kapital“ (2021) zeigt sie, wie Unternehmen durch Vielfalt nachhaltig erfolgreich und zukunftsfähig werden. Gerade gründet sie eine Agentur, die sich um die Auswirkungen geopolitischer Risiken auf die Industrie kümmert.

Info Charta der Vielfalt e.V.: Der gemeinnützige Verein will dazu beitragen, die Arbeitswelt diverser zu gestalten. Mehr als 4.500 Unternehmen und Institutionen mit insgesamt 14,6 Millionen Beschäftigten haben die „Charta der Vielfalt“ bereits unterzeichnet und sich dazu bekannt, ein wertschätzendes Arbeitsumfeld für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schaffen – unabhängig von Alter, ethnischer Herkunft und Nationalität, Geschlecht und geschlechtlicher Identität, körperlichen und geistigen Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, sexueller Orientierung und sozialer Herkunft. Im Dezember 2006 wurde die Charta der Vielfalt von Daimler, der BP Europa SE (ehemals Deutsche BP), der Deutschen Bank und der Deutschen Telekom ins Leben gerufen. 


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