In der Kategorie NEW WORK ALUMNI konnten sich 2020 die Nominierten und Bewerber des NEW WORK AWARD* der vergangenen sieben Jahre erneut bewerben und zeigen, wie erfolgreich sie die angeschobenen Veränderungen weitergeführt haben. Wieder einmal überzeugt hat dabei das Team von Sidepreneur. Wie sich das Projekt von einem Podcast zur ersten Anlaufstelle für alle nebenberuflichen Gründer, Unternehmer und Selbstständige im deutschsprachigen Raum entwickelt hat, erzählt uns Peter-Georg Lutsch, Initiator und Gründer von Sidepreneur, im Interview.
Kannst Du bitte kurz Euer Projekt vorstellen?
Peter-Georg Lutsch: Sidepreneur entstand vor vier Jahren aus einem eigenen Bedürfnis heraus. Wir waren selbst nebenberufliche Gründer und irgendwann wollten meine Mitgründerin Juliane Benad und ich in Erfahrung bringen, ob es da draußen noch andere Menschen gibt, die genauso ticken wie wir. Die also einen Hauptjob haben, der sie durchaus erfüllt, die aber daneben auch noch eigene unternehmerische Projekte umsetzen wollen. Bei unserer Suche haben wir im deutschsprachigen Raum keine einzige Plattform dafür gefunden, also sind wir das selbst angegangen und haben von unseren Erfahrungen berichtet. Unser Podcast bekam schnell Zulauf und später ergänzten wir das Ganze noch mit einem Online-Magazin. Heute haben wir eine Community von 5.000 Menschen, die sich über Sidepreneur zum Thema nebenberufliches Gründen austauschen. Unsere Offline-Events haben wir wegen Corona auf digitale Formate verlagert. Unser Ziel ist es, die nebenberuflichen Gründerinnen und Gründer sichtbar zu machen, weil wir glauben, dass sie einen großen Mehrwert für die Gesellschaft haben.
Worin liegt der Mehrwert Eures Projektes für die Arbeitswelt?
Peter-Georg Lutsch: Zum Beispiel in der Innovation, die darin liegt, sich auf diese Art und Weise dem Unternehmertum zu nähern. Außerdem werden durch Sidepreneurship viele Menschen an das Thema Gründen herangeführt, die vielleicht sonst durchs Raster fallen würden, weil sie sich den direkten Weg als Entrepreneur nicht zutrauen. Dann kommt hinzu, dass die Gründerinnen und Gründer durch ihre nebenberufliche Tätigkeit zufriedener und erfüllter sind, weil sie oftmals mit Social Start-ups einsteigen und so einen Impact in die Gesellschaft geben. Das Ganze hat aber auch einen hohen Mehrwert für die Arbeitgeber. Denn die Sidepreneure sind laut einer Studie, die wir selbst vorgenommen haben, exzellente Fachkräfte, sie haben ein hohes Bildungsniveau, eine gewisse berufliche Erfahrung und viel Know-how. Sie sind eben nicht die typischen Start-up-Founder, die unmittelbar nach der Uni gründen und dann gleich auf ein Unicorn aus sind. Sidepreneure bringen ihre Erfahrungen, die sie bei ihrer Gründung sammeln, auch in die Unternehmen ein, in denen sie angestellt sind. Bei unserer Befragung haben 66 Prozent angegeben, dass sie schon einmal durch die Erfahrungen ihrer nebenberuflichen Projekte in ihrem Angestelltenverhältnis profitiert haben.
Ist es wirklich von Vorteil für Arbeitgeber, wenn ihre Angestellten nebenberuflich gründen? Besteht da nicht die Gefahr, dass sie sich irgendwann komplett selbstständig machen und dem Unternehmen verloren gehen?
Peter-Georg Lutsch: Das wird tatsächlich oft negativ gesehen, aber mit unserer Studie haben wir belegen können, dass 40 Prozent der Sidepreneure gar nicht vorhaben, ihr Angestelltenverhältnis aufzugeben. Die anderen 60 Prozent sehen es zumindest als Option, irgendwann hauptberuflich unternehmerisch selbstständig zu werden. Als Arbeitgeber muss ich mir also vor Augen führen, was es für Konsequenzen hat, wenn ich Sidepreneurship nicht ermögliche. Wahrscheinlich verlassen mich die Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer noch viel schneller, weil sie bei mir nicht die Möglichkeit finden, ihre Projekte umzusetzen. Dann bleibt ihnen keine andere Wahl als ihr Ziel aufzugeben oder zu kündigen. Beides keine guten Optionen. Warum also nicht die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen und die Unterstützung für Sidepreneurship zu einem Employer Branding Tool machen?
Du hast vorhin schon Eure Studie erwähnt. Wie messt Ihr den Erfolg des Projekts und den Einfluss auf die Arbeitswelt?
Peter-Georg Lutsch: In Zahlen können wir sagen, dass das Thema nebenberufliches Gründen in den letzten Jahren sehr viel attraktiver geworden. Selbst während des schwierigen Corona-Jahres gab es ein starkes Interesse. Allein in 2020 haben 377.000 Sidepreneure nebenberuflich gegründet. Da lag die Zahl immerhin höher als bei den hauptberuflichen Gründungen, von denen es etwa 250.000 gab und die sogar rückläufig sind. Im Vergleich zum Vorjahr 2019 sind die nebenberuflichen Gründungen um 85.000 gestiegen. Wir sprechen also von einer relevanten Größe, es handelt sich hier nicht um ein Nischenthema, wie immer wieder vermutet wird. Wir nehmen für uns in Anspruch, dass wir mit unseren Informationen diesen Effekt verstärken. Aktuell erreichen wir mit unserer Plattform 80.000 Menschen im Monat. Im Januar hatten wir im Vergleich zum Vorjahresmonat einen Zuwachs von 25 Prozent in unserer Community.
Seid Ihr die einzigen, die das so anbieten?
Peter-Georg Lutsch: Als spezialisierte Plattform für nebenberufliches Gründen würde ich sagen ja. Es gibt viele, die darüber schreiben und den Gegenstand immer mal wieder aufgreifen, aber wir sind die einzigen, die Sidepreneurship als Hauptthema wirklich aktiv vorantreiben. Allerdings würden wir uns wünschen, dass sich noch mehr Menschen finden, die das Anliegen in die Öffentlichkeit tragen.
Welche Hürden gab es beim Aufsetzen Eurer Idee?
Peter-Georg Lutsch: Wie gesagt sind wir zu Beginn von einem ganz persönlichen Problem ausgegangen und wussten noch gar nicht, ob wir damit vielleicht totale Exoten sind. Und so mussten wir erstmal herausfinden, wie relevant das Thema für die Gesellschaft ist und ob es überhaupt eine potenzielle Zielgruppe gibt. Nach dem Start unseres Podcast haben wir das erste Feedback abgewartet und dann kam eine lange Durststrecke – viel schreiben, viel veröffentlichen, viel netzwerken. Bis wir zu diesen Zahlen kamen, die ich oben erwähnt habe, verging viel Zeit. Vier Jahre bearbeiten wir dieses Thema, und erst in den vergangenen zwei Jahren merken wir, wie relevant es geworden ist. Die Herausforderung bestand also darin, durchzuhalten, viel Content zu produzieren und mit wenig finanziellen Mitteln ein Team aufzubauen.
Wie finanziert Ihr Euch eigentlich?
Peter-Georg Lutsch: Auf der einen Seite durch Werbepartnerschaften, zum Beispiel mit Softwareanbietern, auf die wir aktiv zugehen. Wenn es eine Buchhaltungs-Software gibt, die wir beispielsweise selbst nutzen, dann fragen wir nach, ob das Unternehmen an einer Partnerschaft interessiert ist. Wir binden sie dann tatsächlich auch in unseren Content ein, weil wir sie wirklich empfehlen können. Da arbeiten wir also mit dem Influencer-Ansatz. Zum anderen ist da die klassische Beratertätigkeit, oftmals im Arbeitgeber-Kontext. Dabei zeigen wir auf, welche Innovation in Form unentdeckten Potenzials der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Unternehmen schlummert. Mit verschiedenen Formaten, in Workshops und Coachings, arbeiten wir heraus, wie man den Zugang zu ihnen findet und dann vielleicht auch spannende Projekte mit ihnen zusammen realisieren kann.
Was bedeutet NEW WORK für Euch?
Peter-Georg Lutsch: Wir sehen uns als Teil der New-Work-Bewegung, weil wir glauben, dass durch das nebenberufliche Gründen den Menschen eine selbstbestimmte und selbsterfüllende Tätigkeit ermöglicht wird – auch neben einem Angestelltenverhältnis. Viele Gründerinnen und Gründer von Social Start-ups können ihren Beitrag für die Gesellschaft vielleicht nur leisten, weil sie eine feste Finanzierungsquelle für ihren täglichen Broterwerb haben.
Wie bist Du auf den NEW WORK AWARD aufmerksam geworden und was bedeutet die Auszeichnung für Euch?
Peter-Georg Lutsch: Ich persönlich nutze XING schon sehr lange und dann habe ich das natürlich auch über die Medien mitbekommen. Wir finden es großartig, dass mit den Awards das Thema NEW WORK aus der Theorie herausgeholt und sichtbar gemacht wird. Über die praktische Umsetzung erfährt man ja oft erst durch die verschiedenen Initiativen und Projekte, die so an die Öffentlichkeit kommen. Für uns bedeutet der Award eine große Wertschätzung, die natürlich auch von unseren Kunden wahrgenommen wird. Für die Awards 2020 haben glaube ich 30.000 Leute abgestimmt, sie alle haben unser Projekt gesehen und viele haben auch für uns gevotet. Das wirkt sich auch direkt auf unsere Reichweite aus und auf Personen, die wir inspirieren können.
Was sind Eure nächsten Schritte?
Peter-Georg Lutsch: In 2021 haben wir zwei große Fokusthemen: Wir wollen uns noch stärker in der Gründerinnenförderung engagieren. Schon heute werden 41 Prozent der nebenberuflichen Gründungen von Frauen durchgeführt. Sidepreneurship ist also gelebtes weibliches Gründen. Hier wollen wir ansetzten und auch bei politischen Entscheidungsträgern für unser Thema werben, um so noch mehr Frauen für das Unternehmertum zu begeistern. Außerdem wollen wir verstärkt Aufklärungsarbeit bei Arbeitgebern leisten, um die vielfältigen Vorteile aufzuzeigen, die Angestellte mit unternehmerischem Mindset in bestehenden Organisationen bewirken können.
Eure 3 Top-Tipps für alle, die die Arbeitswelt von morgen mitgestalten möchten.
Tipp 1: Mitarbeitende darin bestärken, unternehmerisch zu denken und zu handeln! Hierzu gehört unter anderem die bewusste Übertragung von Verantwortung und ein vorgegebener Rahmen, in dem eigenverantwortlich agiert werden kann.
Tipp 2: Rahmenbedingungen für flexible Arbeitsmodelle schaffen! Die klassische Kaminkarriere ist ein Auslaufmodell. Arbeitsverhältnisse werden projektbasierter werden. Wer sich heute schon flexibleren Arbeitsmodellen öffnet, wird zukünftig die besten Talente anziehen können.
Tipp 3: Remote Work ist mehr als Home Office! Nach der Corona Pandemie wird es kein zurück zu 2019 geben. Es gilt also herauszufinden, wo Büros als echte Tools für gemeinschaftliches Arbeiten genutzt werden sollten und welche Arbeitsprozesse vielleicht sogar deutlich besser ortsunabhängig funktionieren.
*Der NEW WORK AWARD geht in die nächste Runde - ab sofort sind Bewerbungen in den Kategorien NEW WORKER:IN, NEW WORK TEAMS und ZUKUNFTSWÜRFE möglich. Zusätzlich wird zum ersten Mal der NEW WORK PUBLIKUMSAWARD vergeben, in Kooperation mit der Plattform story.one auf der ganz persönliche NEW WORK-Geschichten veröffentlicht werden können. Alle Infos zum AWARD, den einzelnen Kategorien und den Bewerbungsmodalitäten gibt es auf dieser Spezialseite.