Die Reform der beruflichen Bildung ist eine der zentralen Aufgaben der Zukunft: Mit der Tomorrow University will Seriengründer Christian Rebernik digitale Hochschulbildung flexibler, praxisnäher und sinnvoller gestalten – auch für Menschen im Handwerk und in Blue-Collar-Berufen. Im Interview mit dem NWX Magazin erklärt er, wie Kompetenzen in Nachhaltigkeit, Problemlösung und Selbstführung in allen Branchen an Bedeutung gewinnen und moderne Technologien das Lernen revolutionieren.
Bildung gilt als Schlüssel für eine bessere und nachhaltige Zukunft – für jeden Einzelnen und die globale Gemeinschaft. Doch welche Fähigkeiten sind zukunftsrelevant? Wie und wo kann man sie am besten erlernen? Und wie motiviert man berufstätige Menschen zum Lernen, die wenig Lust auf stumpfes Pauken oder Prüfungsstress haben und in ihrem Alltag nicht einfach pausieren können? Als Mehrfachgründer, Business Angel und CTO von N26 hat sich Christian Rebernik in der deutschen Startup-Szene einen Namen gemacht. Mit der Tomorrow University, dem ersten deutschen EdTech mit Hochschullizenz, möchte er Antworten auf diese wichtigen Fragen liefern.
NWX Magazin: Herr Rebernik, viele Weiterbildungsanbieter setzen auf Online-Kurse, Sie haben mit der Tomorrow University gleich sogar eine digitale Hochschule gegründet, warum?
Christian Rebernik: Wir wollen Bildung neu denken und zugleich auch sehr ernst nehmen. Eine staatlich anerkannte Hochschule bietet Menschen nicht nur Wissen, sondern auch gesellschaftliche Anerkennung und neue Perspektiven. Unser Anspruch ist es, Menschen Türen zu öffnen, indem wir ihnen relevante Fähigkeiten für das 21. Jahrhundert vermitteln und die erworbenen Qualifikationen in Form von Abschlüssen auch sichtbar machen.
In Deutschland gibt es rund 430 Hochschulen, davon bieten auch schon viele Online-Vorlesungen an ...
Rebernik: Richtig, dennoch setzen sich innovative digitale Lernmethoden im Bildungssystem nur langsam durch. Intern gibt es wenig Anreize, etwas Neues zu wagen. Wir glauben fest, dass Technologie das Lernen auf ganz vielen Ebenen verbessern kann. Mit der Tomorrow University möchten wir zeigen, was möglich ist und haben deshalb von Grund auf ein neues Konzept entwickelt.
Was machen Sie denn anders?
Rebernik: Im Mittelpunkt steht der Mensch, der bei uns nicht bloß passiv zuhört oder allein vor dem Bildschirm sitzt, sondern aktiv von und mit anderen lernt. Ich habe während meines Studiums selbst in Klassen mit 500 Leuten gesessen – dort finden Sie weder gut Anschluss noch hohe Lerneffizienz. Statt überfüllter Hörsäle bieten wir kleine, persönliche Lerngemeinschaften und einen Mix aus Live-Sessions, flexiblem Selbststudium und virtueller Gruppenarbeit.
Die Tomorrow University ist also eher klein und exklusiv?
Rebernik: Nein, ganz im Gegenteil – wir wollen möglichst viele Menschen erreichen. Dank moderner digitaler Lernmethoden sind unsere Formate gut skalierbar. Mit 10.000 Studierenden funktioniert unser Konzept grundsätzlich genauso gut oder vielleicht sogar noch besser als mit 1.000. Zum einen, weil das Netzwerk wächst, zum anderen, weil wir Lerngruppen dann noch passgenauer matchen können. Eine neue Hochschule zu etablieren, dauert natürlich. Aber inzwischen haben wir die ersten erfolgreichen Absolventen und wachsen schneller.
Laut Website arbeiten Ihre Absolventen bei Unternehmen wie Deutsche Bank, Tesla, PwC oder Microsoft. Was können Menschen aus dem Handwerk und anderen Blue Collar-Berufen bei Ihnen lernen?
Rebernik: Wir fokussieren uns auf zukunftsrelevante Fähigkeiten, also Skills, die nicht nur kurzfristig für den nächsten Job, sondern nachhaltig für eine Karriere im 21. Jahrhundert wichtig sind. Laut World Economic Forum zählen dazu Grundkompetenzen wie Selbstführung, Zusammenarbeit, Kommunikation und Problemlösungsfähigkeit. Dazu kommen unsere Grundpfeiler Nachhaltigkeit, Technologie und Unternehmertum. Ich bin überzeugt, dass diese Future Skills für nahezu jeden Job zukunftsrelevant sind – in großen Unternehmen genau wie im Handwerk.
Viele Menschen entscheiden sich für eine Berufsausbildung, weil sie mit Schule und Prüfungen mäßige Erfahrungen gemacht haben. Wie wollen Sie diese Zielgruppe für ein Hochschulstudium gewinnen?
Rebernik: Die Bildungsforschung belegt: Wir lernen am besten, wenn die Inhalte für uns relevant und sinnvoll sind. Ein Studium an der Tomorrow University beginnt damit, dass jeder Studierende seine Mission definiert: Warum möchte ich lernen und was will ich damit bewirken? Vielen Menschen ist es wichtig, den Sinn und den Impact ihrer Arbeit zu erfassen – gerade, wenn sie hart und körperlich anstrengend ist. Wissen und Fähigkeiten erwerben sie bei uns, indem sie gemeinsam konkrete Herausforderungen lösen. Wir nennen das "Challenge Based Learning". Es gibt auch keine klassischen Klausuren, sondern Projektabgaben mit individuellem Feedback. Das Studium ist also sehr praxisorientiert und auf den persönlichen Purpose zugeschnitten. Und so flexibel, dass 95 Prozent unserer Studierenden weiterhin voll arbeiten.
Unterrichtssprache ist Englisch. Verlangen Sie einen Sprachtest?
Rebernik: Nein, viele unserer Studierenden kommen aus anderen Ländern oder Schulsystemen. Anstelle von Noten oder Englischkenntnissen prüfen wir im Aufnahmeverfahren sehr sorgfältig die Lernmotivation. Für alle, die im Englischen nicht sicher sind, bieten wir Sprachkurse an. Und ab Juni setzen wir sogar KI für Echtzeitübersetzungen ein. Dann können Sie also auf Deutsch studieren, allerdings erwarten wir nach wie vor, dass Sie Englisch lernen. Auch das öffnet Türen!
Also KI für die digitale Völkerverständigung. Nutzen Sie auch Virtual Reality?
Rebernik: Ja, wir bieten ein immersives Managementstudium mit der Apple Vision Pro an. Studierende können sich virtuell in 3D treffen oder gemeinsam in eine ganz neue Lernumgebung eintauchen. Beispielsweise besuchen sie zum Thema Innovation virtuell die Space X Factory. Oder Sie lernen etwas über das komplexe Thema Nachhaltigkeit, während sie sich virtuell am Strand von Thailand bewegen und Plastikmüll aufsammeln. VR ermöglicht großartige Lernerlebnisse, auch wenn sich Preis und Tragekomfort weiter verbessern müssen.
Eigentlich schade, dass so spannende digitale Formate an ein teures Hochschulstudium geknüpft sind. Wäre das nicht auch für die berufliche Aus- und Weiterbildung sinnvoll?
Rebernik: Ja, berufliche Bildung braucht ein Update. Wir haben die Tomorrow University als Leuchtturmprojekt für Hochschulbildung gegründet, aber ich hoffe, dass sie auch auf andere Lernorte abstrahlt. Damit lebenslanges Lernen funktioniert, sollten berufliche und akademische Bildung gut miteinander vernetzt sein. Wir bieten zum Beispiel auch digitale Kurzprogramme zu Themen wie Green Tech, unternehmerisches Denken, Change Management oder nachhaltige Führung an, die optional später auf ein Studium angerechnet werden können. Bildung ist bestimmt nicht der schnellste, aber der wirkungsvollste Weg zu positiven Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Nachhaltigkeit sollte jeder verstehen – gerade auch im Handwerk.
Das Interview führte Kirstin von Elm