Yasmin Weiß, Jahrgang 1978, ist Professorin, Aufsichtsrätin, gefragte Keynote Speakerin und Publizistin. Ihren ausgefüllten Arbeitstag und die unterschiedlichen Rollen bewältigt die zweifache Mutter wesentlich effizienter, seit Künstliche Intelligenz in Form von KI-Assistenten und -Agenten ihr viele Aufgaben abnimmt. Jeden Morgen erstellen KI-Bots für sie aus aktuellen Nachrichten und Hintergrundinformationen ihr persönliches Morning Briefing und machen daraus einen Podcast, den sie beim Sport oder im Auto hört. Routineaufgaben hat sie an ihr KI-Team ausgelagert und zu Konferenzen erscheint sie neuerdings gemeinsam mit ihrem Avatar. Im Interview mit dem NWX Magazin spricht sie über Komplementäre Intelligenz, menschliche Vorteile in der Kooperation mit smarten Maschinen - und welche Kompetenzen wir in der KI-Zukunft wirklich brauchen.
NWX Magazin: Frau Professor Weiß, wie fühlt es sich an zusammen mit seinem Avatar auf der Bühne zu stehen?
Yasmin Weiß: Großartig. Solche Auftritte zeigen eindrucksvoll, wie leistungsfähig KI bereits sein kann. Man muss sich anstrengen, als Mensch relevant zu bleiben und etwas zu machen, was der Avatar nicht genauso gut oder sogar besser kann. Mein Avatar sieht aus wie ich – vielleicht sogar besser, denn er ist immer perfekt gestylt und geschminkt. Er wird niemals müde oder unkonzentriert, kennt kein Jetlag und kann am selben Tag in Las Vegas, Berlin und Seoul auftreten. Er redet flüssig in 38 Sprachen, ich selbst spreche Deutsch, Englisch und Französisch.
Sie sind eine gefragte Speakerin und haben auch als Professorin oder Aufsichtsrätin viele Termine. Werden Sie in Zukunft Ihren Avatar schicken?
Yasmin Weiß: Ich bekomme zwar tatsächlich schon viele Anfragen. Für eine Keynote auf einer internationalen Technologie-Konferenz wäre das ja tatsächlich auch sehr passend. Trotzdem lasse ich den Avatar noch nicht allein los. Wir kommen als Team. Ich lerne dabei sehr viel darüber, wie künstliche und humanoide Intelligenz optimal zusammenarbeiten.
Haben Sie Angst, dass Ihr virtuelles Ich auf der Bühne blamiert?
Yasmin Weiß: Die Trainingsdaten für den Avatar stammen nicht aus dem Internet, sondern sind sorgfältig ausgewählt. Er beantwortet Fragen zur Zukunft der Arbeit mit KI also genauso wie ich und gibt Wissenslücken offen zu, statt zu halluzinieren, wenn eine Frage nicht ins Fachgebiet fällt. Allerdings ist es aktuell noch möglich, die KI durch bestimmte Fragetechniken zu überlisten, so dass sie ihre Grenzen überschreitet. Der Fachbegriff dafür lautet Jail Breaking. Ein Mensch würde so einen Manipulationsversuch sofort bemerken, aber die Maschine noch nicht.
Künstliche Intelligenz entwickelt sich rasant weiter. Ist es also nur noch eine Frage der Zeit, bis so ein virtuelles Ich uns endgültig überlegen ist?
Yasmin Weiß: Nein, und das machen solche gemeinsamen Auftritte auch sehr deutlich. Mein Avatar beantwortet Fachfragen zwar sicher und zuverlässig. Doch er beherrscht nicht den Flirt mit dem Publikum. Damit meine ich multisensorale Kommunikation, also Augenkontakt, spontane Mimik oder Gestik. Hier bleiben wir als Menschen der KI haushoch überlegen, vorausgesetzt natürlich wir geben uns in der Kommunikation Mühe.
Gestresste Führungskräfte können also nicht einfach ihren Avatar ins Townhall-Meeting oder zur Aktionärsversammlung schicken?
Yasmin Weiß: Nein, das bringt nichts. Mitarbeitende oder Shareholder wollen echte Menschen sehen. Aufmerksamkeit und Zeit sind im digitalen Zeitalter unsere wertvollsten Ressourcen. Sich persönlich Zeit zu nehmen, ist also ein Zeichen von Wertschätzung. Aufbruchstimmung vermitteln, Sicherheit in der Krise geben oder ein Team zu Spitzenleistungen anzuspornen, ist und bleibt eine menschliche Führungsaufgabe.
Wo kann ein KI-Avatar ihre menschlichen Kollegen bei der Kommunikation entlasten?
Yasmin Weiß: Sinnvolle Use Cases sehe ich zum Beispiel im Bereich der Pflichtschulungen. Ich habe viele Jahre in der Konzernwelt gearbeitet und weiß, wie viele Schulungen dort durchgeführt werden müssen. Sachliche Informationen beispielsweise über Brandschutzregeln oder Datensicherheit kann ein KI-Avatar sehr gut vermitteln, qualitativ hochwertig und inklusiv für jede Zielgruppe in unterschiedlichen Sprachen oder Lernmethoden. Das ist vollkommen unemotional.
Über das Lernen mit KI wird heftig debattiert, zumindest an Schulen und Hochschulen. Wie gehen Sie als Professorin damit um?
Yasmin Weiß: Ich vergleiche KI mit einem E-Bike fürs Gehirn. Wir können damit länger und schneller fahren und unsere Reichweite deutlich vergrößern. Aber wir müssen weiterhin selbst lenken und treten. So ist es auch bei KI: Um gute Resultate zu erzielen, müssen wir uns weiterhin selbst anstrengen. Wir müssen lernen, KI effektiv zu steuern, Ergebnisse kritisch zu überprüfen und dort zu ergänzen, wo menschliche Stärken wie Empathie, ethisches Empfinden oder Intuition gefragt sind. Richtig genutzt sehe ich KI als Enabler, um effizienter und besser zu lernen.
Wir müssen also vor allem unsere menschlichen Softskills trainieren, um KI effizient zu nutzen und fit für die Arbeitswelt von morgen zu bleiben?
Yasmin Weiß: Softskills allein retten uns nicht in die Beschäftigungsfähigkeit. Empathie, Teamfähigkeit oder Kommunikationsstärke unterscheiden uns zwar auch in Zukunft von smarten Maschinen. Aber wir brauchen auch ein ausgeprägtes Anwenderverständnis für neue Technologien. Für unverzichtbar halte ich Meta-Kompetenzen wie Lernfähigkeit, Problemlösungskompetenz, Ambiguitätstoleranz oder Resilienz. Diese Stärken können wir als Menschen einbringen, um aus unserer humanen Intelligenz und der Zusammenarbeit mit einer Künstlichen Intelligenz eine „komplementäre Intelligenz“ zu formen. Future Work erfordert „doppelte“ Teamfähigkeit für die erfolgreiche Zusammenarbeit mit menschlichen Kollegen und technologischen Lösungen wie KI. Derzeit wird intensiv auch an der Zusammenführung von künstlicher Intelligenz (smart software) mit Robotik (smart hardware) gearbeitet. KI bekommt also einen Körper. Auch hier ergeben sich neue Anwendungsmöglichkeiten von Technologie, die unsere Grenze der Zusammenarbeit mit den Maschinen dynamisch verschieben wird. Daher müssen wir Menschen in der Arbeitswelt so lern- und anpassungsbereit sein wie noch nie.
Das Interview führte Kirstin von Elm
*Zur Person: Yasmin Weiß ist Professorin an der Technischen Hochschule Nürnberg, wo sie zum Thema „Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt“ lehrt und forscht. Als Expertin für Themen wie „Future Skills“, „Future of Work“ oder Digitale Bildung zählt sie zu den gefragtesten Keynote-Speakerinnen in Deutschland. Die promovierte Betriebswirtin begann ihre Karriere bei der Unternehmensberatung Accenture und war anschließend bei den Dax-40- Unternehmen E.ON und BMW im Bereich Strategie und Personaltätig. Heute ist sie u.a. Mitglied in den Aufsichts- und Beiräten der United Internet AG und von Accenture.
Lektüre-Tipp: Das "Talking Textbook" ist eine von Yasmin Weiß kuratierte Sammlung von aktuellen Beiträgen und Studien zur Zukunft der Arbeit, mit der Anwender KI-basiert chatten und gezielte Fragen stellen können. Das Textbook findet man unter diesem Link.