Obwohl viele Unternehmen sich im Zeitalter von KI, Fachkräftemangel und Internationalisierung neu aufstellen müssen, bleibt ein gesetzlich verankertes Instrument zur Qualifizierung der Belegschaft weitgehend ungenutzt: der Bildungsurlaub. Nicht nur für Arbeitnehmende ist das eine verpasste Chance, ihre Kompetenzen zu erhöhen - auch Arbeitgeber gefährden damit ihre Zukunftsfähigkeit
In 14 von 16 Bundesländern haben Beschäftigte einen gesetzlich verbrieften Anspruch auf Bildungsurlaub: meist fünf zusätzliche bezahlte Arbeitstage pro Jahr, die für anerkannte Weiterbildungsmaßnahmen genutzt werden können. Dennoch bleibt die Nutzung auf erstaunlich niedrigem Niveau: Von rund 14 Millionen Anspruchsberechtigten machten im Jahr 2024 gerade einmal 1,04 Millionen Menschen davon Gebrauch. Das entspricht einer Quote von nur sieben Prozent obwohl der Bedarf an neuen Kompetenzen stetig wächst.
Ein Blick auf die Entwicklungen am Arbeitsmarkt zeigt, wie schwerwiegend das Versäumnis werden kann. Laut dem aktuellen „Future of Jobs“-Bericht des World Economic Forum (WEF) werden sich bis 2030 weltweit rund 22 Prozent der heutigen Arbeitsplätze grundlegend verändern. Gleichzeitig erwartet das WEF einen globalen Nettozuwachs von etwa 78 Millionen neuen Stellen, viele davon in Berufsfeldern, die technologische, analytische oder kreative Kompetenzen voraussetzen. In diesem Kontext schätzen die Expertinnen und Experten, dass sich fast 40 Prozent der heute zentralen beruflichen Fähigkeiten innerhalb weniger Jahre massiv wandeln werden.
Gerade in Zeiten zunehmender Automatisierung und Digitalisierung wird Weiterbildung zur zentralen Voraussetzung für Beschäftigungsfähigkeit. Soft Skills wie Problemlösung, Resilienz oder Lernbereitschaft gewinnen ebenso an Bedeutung wie der souveräne Umgang mit Künstlicher Intelligenz, Datenanalyse oder Cybersecurity. Der Bildungsurlaub könnte – richtig genutzt – eine niedrigschwellige Möglichkeit bieten, solche Kompetenzen zu fördern.
Zwar hat die Zahl der Bildungsurlauber in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen: Allein zwischen 2022 und 2023 stieg sie um mehr als 20 Prozent, im Jahr 2024 lag das Wachstum bei weiteren sechs Prozent. Besonders gefragt sind Themen wie Gesundheitsförderung, persönliche Entwicklung, aber auch digitale Kompetenzen. Trotz dieser Dynamik bleibt der Abstand zwischen Angebot und tatsächlicher Nutzung groß und damit auch das Risiko für Unternehmen, bei der Qualifikation ihrer Mitarbeitenden ins Hintertreffen zu geraten.
Das ist umso relevanter, als Weiterbildungsangebote nicht nur der individuellen Entwicklung dienen, sondern längst zum strategischen Instrument erfolgreicher Personalpolitik geworden sind. Unternehmen, die ihre Beschäftigten zur Nutzung von Bildungsurlaub ermutigen und diesen aktiv in betriebliche Weiterbildungsstrategien einbinden, sichern sich nicht nur Fachwissen, sondern auch Motivation, Bindung und Innovationskraft. Experten betonen, dass der Bildungsurlaub von beiden Seiten nicht länger als Ausnahmefall oder gar "Zusatzurlaub" behandelt werden sollte, sondern als Teil eines größeren Transformationsprozesses gesehen werden muss – und als solcher ein bislang weitgehend unterschätzter Hebel, um Mitarbeitende zukunftsfähig aufzustellen.
red