Auch wenn der Name so klingt – BabyOne ist kein amerikanischer Konzern, sondern ein deutsches Familienunternehmen, inhabergeführt in zweiter Generation. Co-CEO Anna Weber* hat die Fachmarkt- und Franchisekette gemeinsam mit ihrem Bruder Jan-Willem Weischer mitten in der Corona-Pandemie von den Eltern übernommen und zum Omnichannel-Anbieter für Baby- und Kleinkinderbedarf in der DACH-Region weiterentwickelt. Fast 20 Prozent des Umsatzes erzielt das Handelsunternehmen inzwischen online. Rund 70 Prozent der mehr als 100 BabyOne-Märkte werden von selbständigen Franchisepartnern betrieben, der Rest in Eigenregie. Die BabyOne Franchise- und Systemzentrale GmbH in Münster beschäftigt rund 150 Mitarbeitende.
Dass der Generationswechsel in herausfordernden Zeiten reibungslos funktioniert hat, sei nicht nur der intensiven Vorbereitung zu verdanken, sondern auch dem Mut ihrer Eltern, sagt Anna Weber im Interview mit dem NWX Magazin. Die hätten die Kinder stets ihre eigenen Entscheidungen treffen lassen – bei der Karriere- und Lebensplanung und als Nachfolger im Unternehmen.
Frau Weber, Sie kommen aus einer echten Unternehmerfamilie. Ihre Eltern hatten früher ein Spielwarengeschäft und wurden in den 90er-Jahren die ersten Franchisenehmer von BabyOne, bevor sie später das ganze Unternehmen übernommen haben. War Ihr Weg vorgezeichnet?
Anna Weber: Nein, ganz und gar nicht. Unsere Eltern haben mir und meinen drei Geschwistern vollkommen freie Hand gelassen und niemals Druck aufgebaut. Ob und wer von uns ins Unternehmen geht, war immer offen. Mit Ende 50 haben meine Eltern begonnen, sehr strukturiert ihren Ausstieg vorzubereiten und einen angestellten Geschäftsführer eingearbeitet. Es gab also einen Plan B. Auch ohne uns wäre das Unternehmen weitergeführt worden.
Sie haben in Betriebswirtschaft promoviert und hatten einen spannenden Job im Personalbereich bei Vodafone. Was hat Sie zum Kurswechsel bewogen?
Weber: Wie bei vielen Menschen war die Geburt meines ersten Kindes ein Auslöser dafür, Dinge stärker zu hinterfragen und mir bewusst zu machen, welchen Impact ich persönlich bewirken möchte. Ich habe gemerkt, dass ich in der Konzernwelt nicht dieselben Möglichkeiten habe, wie im eigenen Familienunternehmen und bin dann mit meinen Eltern ins Gespräch gegangen. Bei meinem Bruder war es ganz ähnlich.
Wie haben Sie die Übergabe konkret gestaltet?
Weber: Es ist wichtig zu verstehen, dass es zwei unterschiedliche Prozesse gibt: Zum einen den operativen Nachfolgeprozess im Unternehmen, zum anderen die Eigentumsnachfolge. Vor unserem ersten Arbeitstag bei BabyOne haben wir mehr als ein Jahr lang gemeinsam überlegt und diskutiert, in welchen Rollen wir ins Unternehmen kommen. Dabei haben wir mit einem externem Coach gearbeitet. Anschließend waren wir dann noch fast drei Jahre gemeinsam mit unseren Eltern im Unternehmen. Auch dabei haben wir uns coachen lassen. Wir haben unendlich viel miteinander geredet, haben alles offen auf den Tisch gelegt.
Sie haben also drei Jahre lang gemeinsam geführt und alles gemeinsam entschieden?
Weber: Nein, ganz im Gegenteil. Unser wichtigstes Erfolgskriterium war wohl, dass unsere Eltern den Mut hatten, konsequent Verantwortung abzugeben und uns mit vollem Vertrauen haben machen lassen. Natürlich können wir sie bis heute um Rat fragen, aber ab einem gewissen Punkt waren es ganz klar unsere Entscheidungen. Ich glaube, anders geht es nicht: Du kannst nur Unternehmer sein, wenn Du auch Entscheidungen treffen kannst. Wenn Du ständig das Kind bleibst, das unter den Argusaugen der Eltern keinen Schritt allein gehen kann, kannst Du kein Unternehmen führen.
Der letzte Arbeitstag ihrer Eltern fiel mitten in die Corona-Pandemie. War das nicht der denkbar schlechteste Zeitpunkt?
Weber: Nein, das musste sein. Mein Vater hatte das exakte Datum damals bei unserem Einstieg vor der gesamten Belegschaft offiziell verkündet und auch allen Lieferanten und Franchisepartnern kommuniziert. Viele haben ihn angesprochen und gesagt: „Du kannst doch jetzt nicht einfach gehen.“ Zum Glück hat er sich nicht beirren lassen. Denn wäre er geblieben, hätte er damit gesagt: „Ich traue meinen Kindern nicht zu, das Unternehmen sicher durch eine Krise zu steuern.“ Es war also absolut richtig zu gehen, auch wenn es für uns natürlich unglaublich viel Arbeit war. Sonst besteht das große Risiko, den Absprung niemals zu schaffen, denn ein Grund zum Bleiben, lässt sich immer finden: Digitaler Wandel, Inflation, Energiekrise, Lieferkettenprobleme, Fachkräftemangel, Konsumflaute – irgendwas ist immer.
Hat sich unter Ihrer Führung bei BabyOne viel verändert?
Weber: Ja, absolut, das waren wilde Jahre und sind es immer noch. Veränderungen erfolgen aber weniger, weil wir als Nachfolger unbedingt alles anders machen wollen. Sondern weil wir uns den Markt genau anschauen und auf Kundenbedürfnisse reagieren. Die Welt ist im rasanten Wandel, da müssen wir als Unternehmen natürlich reagieren und unser Angebot und unsere Arbeitsweisen den Erfordernissen anpassen, um weiter zu bestehen. Nachfolge bedeutet ja nicht nur Veränderung, sondern auch Kontinuität.
Eine große Veränderung war doch aber sicherlich der Ausbau des Online-Geschäfts. Wie gut hat das funktioniert?
Weber: Einen stationären Retailer zum digitalen Omnichannel–Anbieter umzubauen, ist eine kontinuierliche Herausforderung. Ich denke, wir haben das sehr gut gelöst, weil wir ein Online-System gemeinsam mit unseren Frachise-Partnern aufgebaut haben. Das hat uns insbesondere mental gut durch die Corona-Pandemie gebracht, weil alle etwas zu tun hatten. Heute weiß jeder, dass online absolut sinnvoll ist und allen etwas bringt. Durch unser „Ship from Store“-Konzept verschickt jeder Markt aus dem eigenen Lager. Alle sind also Teil des Systems und sehen den Online-Shop nicht als Konkurrenz, sondern partizipieren am Erfolg. Vor Corona lag unser E-Commerce-Anteil unter fünf Prozent, jetzt sind es fast 20.
Neben der Unternehmensentwicklung verantworten Sie bei BabyOne auch den Personalbereich. Was setzen Sie in der Personalarbeit für Akzente?
Weber: Wir sind kontinuierlich dabei, uns weiterzuentwickeln. Wir sind ja kein straff organisierter Konzern, sondern ein wachsendes Familienunternehmen, wo nicht alles eindeutig in Prozessen formuliert ist. Ich verbringe also Zeit damit, Rollenbeschreibungen zu verfassen, Gradings einzuführen und moderne agile Methoden der Zusammenarbeit in Teams und Projekten zu etablieren. In den letzten Jahren hat sich unglaublich viel in der Welt der Arbeit bewegt und wir bewegen uns mit. Personaltechnisch sind wir hier in der Zentrale zudem stark gewachsen, weil es so viele neue Funktionen gibt. Sei es E-Commerce, IT oder People: Wir haben viele neue Herausforderungen zu bewältigen, dafür schaffen wir neue Stellen.
Wie wichtig ist es, als Nachfolgerin oder Nachfolger eigene Erfahrungen außerhalb des elterlichen Unternehmens zu sammeln?
Anna Weber: Mir persönlich ist es sehr wichtig, den Blick nach außen zu richten und mir dort Inspirationen und Ideen zu holen. Für mich selbst war mein Weg deshalb der richtige. Das heißt aber nicht, dass jeder Familiennachfolger unbedingt so wie ich vorher in der Beratung, in der Wissenschaft oder im Konzern gearbeitet haben muss. Oft ist dafür ja gar keine Zeit. Ich selbst bin absolut dankbar, dass ich so vieles kennenlernen durfte. Und ich kann von mir sagen, dass ich mir vieles selbst erarbeitet habe. Die Vorstellung, als Sohn oder Tochter würde man seinen Chefposten ohne Gegenleistung „einfach so bekommen“, finde ich zwar ohnehin völlig absurd. Dennoch wird man von Außenstehenden öfter damit konfrontiert. Unternehmer oder Unternehmerin zu sein ist eine innere Haltung, die Bereitschaft zur Verantwortung. Diesen Part haben uns unsere Eltern tatsächlich mitgegeben.
Das Gespräch führte Kirstin von Elm
*Zur Person: Gemeinsam mit ihrem Bruder ist Anna Weber Gesellschafterin und Co-CEO bei der BabyOne Franchise- und Systemzentrale GmbH in Münster. Die promovierte Betriebswirtin verantwortet die Bereiche Unternehmensentwicklung, Marketing, Retail, E-Commerce und People. Vor ihrem Einstieg ins Familienunternehmen hat sie unter anderem als Unternehmensberaterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fernuniversität Hagen gearbeitet. Von 2012 bis 2017 war sie Projektmanagerin im Bereich Leadership, Talent & Engagement bei Vodafone. Anna Weber ist 42 Jahre alt und hat zwei Kinder.