In ihrer vierten NEW WORK Order-Studie fragt die Hamburger Trendexpertin Birgit Gebhardt, was wäre, wenn unsere Umgebung mit uns spricht, Interessen verbindet, Gefühle berücksichtigt und unsere Umgebung das Individuelle feiert. Wie viel anders würden wir dann lernen und arbeiten? Die vor kurzem unter dem Titel The Human Factor@Work erschienene Trendstudie beschreibt den Wechsel von der industriellen Massen- zur vernetzten Individualgesellschaft und verknüpft technologische, ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungen. Im Interview spricht Birgit Gebhardt über die Chancen für eine neue Lebens- und Arbeitswelt.
Frau Gebhardt, Sie sprechen in der aktuellen Studie von „weichen“ psychologischen und emotionalen Faktoren, die unsere Denk- und Leistungsfähigkeit beeinflussen. Was ist damit gemeint?
Birgit Gebhardt: Dass unser Lernen anders funktioniert, als das von Algorithmen, weil unsere natürliche Intelligenz eher individuell und emotional vernetzt ist. Inwieweit wir etwas Neues überhaupt wahrnehmen, ist abhängig von unseren Erfahrungen, unserer augenblicklichen Verfassung, der Art und Weise der Vermittlung und den Umgebungsfaktoren, die atmosphärisch auf uns einwirken. Und dennoch wissen wir über unser individuelles Lernen erschreckend wenig.
Warum ist das so bedeutend?
Gebhardt: Weil die Technologie demnächst den Menschen in den Mittelpunkt stellen könnte. Die digitale Vernetzung wird bald so smart sein, dass sie uns auch beim Lernen oder der Arbeit individuell unterstützen kann. Smart Watches werden uns erzählen wo, mit wem und wie sich unsere beabsichtigte Tätigkeit am besten erledigen ließe. Ähnlich wie bei sportlichen Leistungen könnten sie uns individuell spiegeln, was an Lern- und Leistungsvermögen in uns steckt und wo oder wie wir es entfalten können. Aber solange wir das selbst nicht wissen, können wir es auch nicht den smarten Systemen verraten. Die große Gefahr ist, dass deren sensible Sensorik bei uns gar keine individuellen Lernmuster erfassen wird, weil wir immer noch in den Standards der Industriekultur verhaftet sind.
Wir müssen uns also von der erlernten Industriekultur verabschieden, um in Netzwerken denken zu können?
Gebhardt: Ja, weil das, was die Industrielogik als Errungenschaften feierte – Massenstandards, Durchschnittswerte, Maschinensprache, lineare Strukturen, thinking in boxes, top-down-Prozesse, ... – heute eine Begrenzung darstellt. Wir leben bereits in einem Zeitalter, in dem alles sprechen kann und somit auch alles verstanden werden könnte. Die Vernetzung ist zudem der Bauplan für alles Lebendige.
Welchen Beitrag leisten dazu die neuen Technologien?
Gebhardt: Sie vernetzen und kollaborieren, sie erkennen und übersetzen, analysieren und interpretieren, sie berechnen und extrapolieren, entscheiden und automatisieren. Dank Ihrer faktenbasierten und Kontext-sensiblen Unterstützung können wir unser Handeln auf individueller, lokaler wie globaler Ebene besser einordnen. Wir haben damit die Werkzeuge, um unseren Anforderungen und einer höheren Komplexität gerecht zu werden.
Bereiten somit die smarten Assistenten den Weg für eine humane Arbeitswelt?
Gebhardt: Zumindest können sie helfen, uns die unbewussten Zusammenhänge von unserem Verhalten und unserer Leistungsfähigkeit vor Augen zu führen. Wenn wir uns selbst dann noch mehr ausprobieren könnten, wären wir auf dem richtigen Weg.
Besteht nicht die Gefahr einer erheblichen Überforderung des Individuums, wenn wir plötzlich so viele Daten über uns haben und alles auf uns reagiert?
Gebhardt: Wir werden das situativ abfragen und die Vorschläge schon gefiltert aufbereitet erhalten. Dafür müssen unsere smarten Assistenten allerdings zuvor viele Aspekte und Eigenschaften von uns kennenlernen.
In der Studie beschreiben Sie unter anderem auch die Bedeutung des Raums für unser Erinnern und wie Umgebungsfaktoren unser Befinden beeinflussen können. Wie sieht für Sie die optimale Arbeitsumgebung aus?
Gebhardt: Eine Effizienz in der menschlichen Performanz erreichen wir nicht durch vermeintlich effiziente Bürostandards. Im Gegenteil: Menschen brauchen anregende Vielfalt, um konkret zu werden, experimentelles Wagnis, um Sicherheit zu gewinnen und Interesse am Miteinander, um voranzukommen. Damit das Büro eine nutzergerechte Unterstützung leisten kann, wird es sich stärker auf die individuellen Bedürfnisse seiner Nutzer konzentrieren müssen. Smarte Assistenzsysteme können auch helfen, herauszufinden, was der eigenen Lern- und Leistungsfähigkeit zuträglich ist. Und alles, was diese Erfordernisse sozial, kulturell, räumlich und atmosphärisch unterstützen kann, sollte das Büro auszeichnen.
Das Interview führte der Industrieverband Büro und Arbeitswelt e.V. (IBA). Die NEW WORK Order-Studien stehen unter diesem Link zum kostenlosen Download zur Verfügung. Inhalte der früheren Studien sind zudem in zwei kurzen Erklärfilmen verfügbar.