Für viele ist er Impulsgeber und Vorbild, für einige auch ein rotes Tuch: Thomas Sattelberger ist Top-Manager im „aktiven Unruhestand“, profilierter Personalexperte, MINT-Botschafter, FDP-Mitglied und unermüdlicher Verfechter von guter Bildung, Diversity und Chancengerechtigkeit. Er war Bundestagsabgeordneter und Parlamentarischer Staatssekretär, hat einen Hund und einen Ehemann und keine Scheu, für seine Überzeugungen einzutreten. Von 2007 bis 2012 war er Personalvorstand der Deutschen Telekom und setzte dort 2010 die erste Frauenquote bei einem DAX-Konzern durch. Für seinen damaligen Chef und Vorstandsvorsitzenden René Obermann ist er „einer der prägnantesten Typen“, der ihm je in den Top-Etagen untergekommen sei.
Sattelberger ist Autor von Büchern wie „Ich halte nicht die Klappe. Mein Leben als Überzeugungstäter in der Chefetage“ oder „Achtung, harte Hunde! Unbequeme Wahrheiten über Führung“. Auch in seinem jüngstem Buch: „Radikal neu. Gegen Mittelmaß und Abstieg in Politik und Wirtschaft“ nimmt er kein Blatt vor den Mund. Überraschend kritisch äußert sich „Mr Frauenquote“ darin auch zu vielen New Work-Themen wie Quoten, Gendern, Work-Life-Balance, Home Office oder 4-Tage-Woche. Im Gespräch mit NWX Magazin-Autorin Kirstin von Elm erläutert er wieso.
Herr Sattelberger, dank Ihnen führte die Telekom 2010 freiwillig die erste Frauenquote ein, heute gibt es Gesetze. Freuen Sie sich über den Fortschritt?
Thomas Sattelberger: Nein, angesichts der fehlgeleiteten dogmatischen Quotendebatten der letzten Jahre habe ich mich schon oft gefragt, ob ich heute nochmal so handeln würde. Ich habe die freiwillige Selbstverpflichtung bei der Telekom stets als Paket gesehen: Die Quote als politisches Symbol für die Spitze verbunden mit Talent- und Kulturarbeit in der Breite gehören aus meiner Sicht untrennbar zusammen. So haben wir es bei der Telekom mit damals noch über 120.000 Beschäftigten auch praktiziert. Ich habe immer gesagt, dass ich eine gesetzliche Frauenquote nicht in Familienunternehmen sehe und auch nicht im breiten Mittelstand.
Warum nicht? Immerhin arbeitet mehr als die Hälfte aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigen in Deutschland in einem von mehr als drei Millionen mittelständischen Unternehmen …
Thomas Sattelberger: Diese Unternehmen sind ja nicht per se frauenfeindlich. Eine Quotenpflicht empfinden dort viele einfach nur als weitere bürokratische Zwangsmaßnahme, die sie unter Zeitdruck irgendwie abarbeiten müssen, nach dem Motto: Hauptsache die Zahlen stimmen. Das finde ich fatal. Talentpolitik ist komplex und nur dann exzellent, wenn sie die Potenziale von vielen entfaltet. Wer den Quotenhammer schwingt, vergisst das leider schnell. Man kann Diversity, kluge Talentförderung und eine offene Kultur nicht einfach per Quote in die Unternehmen reindrillen wie einen Stollen ins Bergwerk.
Ihr Buch heißt „Radikal neu“ – müssen politische Entscheider denn nicht ab und zu mal den Hammer schwingen und radikale Beschlüsse fassen, damit sich etwas verändert?
Sattelberger: Absolut, genau das ist ja mein Punkt! Aber das passiert nicht mit stumpfen Quoten. Statt echter Transformation wird nur an quantifizierbaren Stellschrauben herumgeklempnert, ich nenne das Reparaturbetrieb 1.0. Talentierte Frauen zu fördern und für gleiche Arbeit gleich zu bezahlen, ist ja nicht sonderlich innovativ. Ich wundere mich oft, was man in diesem Land zum Teil für progressiv hält. Statt radikal neuer Diversitypolitik diskutieren wir über Quoten.
Was wünschen Sie sich stattdessen?
Sattelberger: Als Pionier der Frauenquote sage ich heute: Selbst, wenn bundesweit und über alle Sektoren hinweg die Hälfte aller Entscheiderposten weiblich besetzt wären, wäre das Glas bestenfalls halb voll. Ich habe in Politik und Wirtschaft zu viele Frauen in Top-Positionen erleben müssen, die genauso gleichförmig dachten und agierten wie ihre männlichen Kollegen. Entscheidend ist nicht das Geschlecht, die sexuelle Orientierung oder der kulturelle Hintergrund, sondern die Fähigkeit divers zu denken. Frei nach dem französischen Maler und Schriftsteller Francis Picaba, der gesagt hat: Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.
Viele Unternehmen geben sich doch inzwischen große Mühe, mit Stereotypen und Rollenklischees aufzuräumen. Sie unterstützen Väter in Elternzeit, feiern den Christopher Street Day und gendern. Finden Sie nicht, dass wir uns beim Thema Vielfalt in die richtige Richtung bewegen?
Sattelberger: Nein, Gendern und Transgendern bringen mich persönlich sogar zur Weißglut. Ich habe absolut nichts dagegen, wenn jemand freiwillig gendert. Was mich aber gewaltig stört, ist die zwanghafte Unterwerfung der eigenen Sprache unter das ideologische Diktat einer Minorität. Eine kleine Gruppe will allein bestimmen, was moralisch legitim ist. Andere Sichtweisen werden nicht mehr zugelassen, sondern als sexistisch oder rassistisch abgestempelt. Ich finde es erschreckend, wie hier unter dem Deckmäntelchen der Diversität wahre Diversity of Mind untergraben wird.
Jetzt klingen Sie aber schon etwas altmodisch …
Sattelberger: Glauben Sie mir. Ich bin ein leidenschaftlicher Verfechter von Diversity. Schließlich gehöre ich in mehrfacher Hinsicht selbst einer Minderheit an. Ich komme vom Land, meine Eltern waren keine Akademiker und ich bin homosexuell. Der Umgang der bayerischen Politik mit Aids, vor allem der Vorschlag, Erkrankte zu kasernieren, hat mich in den 80er Jahren tief erschüttert. Auch in den Top-Etagen der Wirtschaft herrscht nach meiner Erfahrung bis heute ein subtiles Kastensystem, das schwer zu durchdringen ist. Auf der Vorderbühne werden politisch korrekte Debatten geführt, während hinten das alte Leben weitergeht. Das ändert sich nur langsam.
Ist das der Grund, warum Sie sich erst nach Ihrer aktiven Vorstandszeit geouted haben?
Sattelberger: Auf dem Zenit meiner Karriere als DAX-Vorstand wollte ich vor allem vermeiden, dass mein Engagement für Diversity und für Frauen in Führung überlagert wird, von unberechenbaren und unsachlichen Debatten über mein Outing. Ich wollte auf der Sachebene bleiben, um mehr für eine echte und nachhaltige Transformation im Unternehmen zu bewirken.
Eng verknüpft mit mehr Diversity sind neue Karriere- und Arbeitsmodelle – ein Thema, für das Sie ebenfalls brennen. Wie zufrieden sind Sie mit dem Fortschritt beim Thema New Work?
Sattelberger: Ausgangspunkt von New York war um die Jahrtausendwende die extreme Verknappung von Tech-, Digital- und Kreativtalenten im Zuge der digitalen Transformation, der man bei Google & Co mit neuen Formen der Arbeit begegnen wollte. Bei der Telekom haben wir unter dem Label Smart Work 2009 die ersten Formate initiiert. Inzwischen droht New Work in Deutschland auf dem Misthaufen der Verzwergung zu landen. Statt über digitales Freelancertum und neue Anreize für Selbständige reden wir nur über Homeoffice oder 4-Tage-Woche, am besten bei vollem Lohnausgleich. Statt Radikalität auch hier wieder nur Reparaturbetrieb ohne Vision und strategischen Fokus. Unser Land ist voll auf der Rutsche nach unten. Damit die Transformation gelingt, brauchen wir neue Arbeit, nicht nur neues Arbeiten.
Das Interview führte Kirstin von Elm
Unser Interviewpartner: Den Themen Bildung, Innovation und Arbeitsgesellschaft widmet sich Thomas Sattelberger (Jahrgang 1949) schon ein Leben lang, unter anderem in seinen Vorstandspositionen bei der Deutschen Lufthansa AG, dem Automobilzulieferer Continental und der Deutschen Telekom. Er ist Mitbegründer und Jury-Vorsitzender des NEW WORK Awards. 2017 zog er für die FDP in den Deutschen Bundestag ein und wurde 2021 Parlamentarischer Staatssekretär im FDP-geführten Bundesministerium für Bildung und Forschung. Mitte 2022 legte er alle politischen Ämter nieder.
Sein Buch: „Radikal Neu Gegen Abstieg und Mittelmaß in Politik und Wirtschaft“ ist im Oktober 2023 im Herder Verlag erschienen und kostet 25 Euro
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